Warum uns Sauen so faszinieren

Unser Autor Floris Weber schreibt über die Faszination einer hochinteressanten Wildart: Sauen. Warum wir die Bejagung so spannend finden, erklären wir im Folgenden.

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Schwarzwild ist eine faszinierende Wildart. (Foto: Pixabay)

Der Zweidrittelmond steht silbrig am Himmel. Auf einmal erfasst mein Blick, der bislang gemütlich zwischen verschiedenen Richtungen hin- und herschwenkt, eine schwarze Masse am Rande der Buschkoppel vor meinem Sitz. Eine Sekunde des Schrecks durchfährt meinen Körper, dann geraten alle meine Sinne in höchste Alarmbereitschaft. Das Stück löst sich von der Waldkante, und nun ist ganz klar: eine starke Sau!

Im Eifer des Gefechts

Der Puls hämmert, das Blut brodelt, der Körper schüttelt sich. Nun bloß nichts verkehrt machen! Solche Momente dürften jedem passionierten Saujäger gut bekannt sein. Es sind diese wenigen Sekunden, für die wir im Vorfeld häufig viel Arbeit und Frustration in Kauf nehmen. Als begeisterte Schwarzwildjäger schlagen wir uns so manche Nacht um die Ohren und quälen uns übernächtigt durch den darauffolgenden Arbeitstag. Wir hetzen zwischen Tür und Angel noch einmal kurz ins Revier, um den Schlag abzufährten, an dem zuletzt ein so vielversprechendes Fährtenbild unsere Aufmerksamkeit erregte.

Alles für die Sauen

Wir geben viel Geld für Jagdmöglichkeiten, Hochsitze und anderes Equipment aus. Nur, um die Faszination einer plötzlich auftauchenden Sau zu erleben. Wer weiß wie lange dies noch möglich ist. Hier haben wir über das grassierende ASP-Virus berichtet. Logisch ist das alles nicht, vor allem nicht für meine Ehefrau. „Du hast doch schon zwei geschossen diese Woche“, argumentiert sie. Ich kontere damit, dass die Regenwurmhochzeit wahrscheinlich nur noch kurz andauert, und dass der Rapsschlag seine Anziehungskraft schon bald verlieren wird. „Aber im November bist du dann auch wieder weg auf den Drückjagden“, wird mir als nächstes vorgehalten. Ich kann mir ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen, und bevor ich argumentiere, dass die Sauen sich in der kalten Jahreszeit nun einmal vor allem im Wald aufhalten, worauf man natürlich jagdstrategisch reagieren muss, denke ich mir, dass meine Frau irgendwo Recht hat.

Mehr Sau als Verstand

Für mich gibt es immer einen Grund, auf Saujagd zu gehen. Wenn es gerade läuft, will man die Zeit voll und ganz auskosten. Tut sich seit Wochen kaum etwas, muss man mehr ansitzen als sonst, um die dunkle Serie endlich zu durchbrechen. Und wenn die Pechsträhne durchbrochen ist, sollte man ohnehin noch mehr ansitzen. Unser Verstand generiert immerzu einen Grund, wieso wir auf Saujagd gehen müssen. Mit Logik ist uns Saujägern also nicht beizukommen. Auch wenn wir über ein ganzes Repertoire passender rationaler Erklärungen verfügen, wieso es wieder rausgehen muss, die Ursachen für unser Schwarzwildfieber sind auf einer tieferen Ebene, nämlich der Ebene unserer Emotionen zu finden. Um zu verstehen, wieso wir uns so magisch vom Schwarzwild angezogen fühlen, begeben wir uns auf eine kleine Reise in das menschliche Gehirn.

Das limbische System

Die (fast) alles entscheidende Struktur ist hierbei das limbische System. In dieser tief liegenden Hirnstruktur des Mittelhirns werden Emotionen erzeugt und wahrgenommen. Alles, was im Laufe unseres Lebens tagtäglich an inneren und äußeren Sinnesreizen von uns wahrgenommen wird und in der Großhirnrinde ankommt, wird automatisch für die emotionale Überprüfung an das limbische System weitergeschickt. Dieses entscheidet dann über das Ausmaß und die Art unserer Gefühle. Während der Geruch von saurer Milch von uns mit Ekel beantwortet wird, beschleunigt der Anblick einer schönen Frau unseren Herzschlag. Ein ganz eigenes Kapitel sind die Reaktionen, die unser Gehirn bei der Jagd auslöst. Wenn wir auf dem Sauansitz die hoppelnden Bewegungen eines Feldhasen ausmachen, reagiert unser limbisches System kaum, da der Feldhase beim Sauansitz nicht in unser Beutespektrum passt.

Wehe es treten Sauen aus

Nehmen wir aber akustisch das Quieken eines Frischlings wahr oder sehen, wie der Körper einer Sau sich von der Deckungsfläche löst, schlägt unser limbisches System Alarm und löst eine starke geistige und körperliche Reaktion aus. So versteht man, dass wir beim Anblick von Schwarzwild so stark reagieren. Es lässt jedoch die Fragen offen, wieso wir es mit dermaßen starken Reaktionen gerade beim Schwarzwild zu tun haben. Ich kenne viele Jäger, die sich aus Rehwild nicht allzu viel machen. Einige von ihnen würden in jedem Fall einen strammen Überläuferkeiler einem  Bock vorziehen. Ich würde mich da sicher auch nicht ausschließen.

In der Geschichte begründet

Die Antworten finden sich in der Geschichte, die Mensch und Wildschwein verbindet. So ist über Funde aus der Mittelsteinzeit belegt, dass damals Sauen zur Hauptbeute des Menschen gehörten. Bis zur Hälfte der erbeuteten Tiere sollen damals Wildschweine gewesen sein. Es macht also im höchsten Maße Sinn, dass sich im Laufe der Jahrtausende die Sauen als begehrenswertes Jagdwild in unserem Gehirn „verankert“ haben und unsere starken Reaktionen beim Schwarzwild darauf zurückgehen, dass bereits unsere Vorfahren Sauen gejagt und als begehrenswerte Jagdbeute angesehen haben. Eine weiterer Umstand wird dazu geführt haben, dass unsere Emotionsantwort auf den Sinnesreiz „Sau“ besonders stark ausfällt: die Wehrhaftigkeit von Sauen.

Erlegung als Abenteuer

Jeder Jäger, der bereits einmal von einer Sau angenommen wurde, kann bezeugen, dass Sauen über eine ungeheure Stärke verfügen. Ich selbst hatte als Jungjäger mal eine bemerkenswerte Erfahrung. Eine als herrenloser Frischling aufgefundene Sau sollte nun – als schwacher Überläufer von rund 40 Kilogramm – von einem kleinen Gatter aus dem Jagdrevier in ein anderes Gatter umgesetzt werden. Obwohl ich von den Mitjägern gewarnt wurde, dass Rosi mitunter aggressiv reagiere, versuchte ich, sie von außen mit dem Arm in Richtung des Auslasses zu befördern. Mit einem kurzen Ruck des Wurfs nach oben katapultierte dieses Wutzchen meinen Arm in die Höhe. Ich war ziemlich perplex über die Kraft dieser vom Wildbret eher schwachen Sau und bekam nach diesem Erlebnis deutlich mehr Respekt vor der Gewalt, die Sauen durch ihre kräftige Nackenmuskulatur entwickeln können.

Vorsicht ist geboten

Die körperliche Kraft der Sauen und die Einordnung als lebensbedrohlicher Gegner sorgen dafür, dass wir mit einer stärkeren mentalen Reaktion und mehr Adrenalin reagieren, als wenn die Geiß mit ihren Kitzen vor uns austritt. Genau genommen spüren wir, wenn wir Schwarzwildfieber entwickeln, neben der Euphorisierung ob der möglichen Beute auch eine Angstreaktion. Obwohl diese Angstreaktionen auch dann ausgelöst werden, wenn wir sicher auf dem Hochsitz waidwerken, steigt deren Aktivität mit sinkender Entfernung zur Sau. Aktive Pirschjäger können ein Lied davon singen, dass sich bei geringer werdender Entfernung zur begehrten Beute die Körperreaktionen massiv verstärken. Zum Teil so arg, dass man als Pirschjäger, der sich nur noch wenige Meter von den Sauen entfernt befindet, manchmal fast die Sorge haben muss, dass die Sauen das eigene Zähneklappern hören könnten.

Passion versus Vernunft

Wir merken, dass die Faszination enorm viel mit unseren Gefühlen zu tun hat. Wir Menschen spüren über zwei Ebenen: Wir reagieren auf Situationen, die auf uns einwirken. Genauso reagieren wir aber auch auf die Gefühle unserer Mitmenschen. Verantwortlich dafür sind sogenannte Spiegelneurone. Dabei handelt es sich um Nervenzellverbände unseres Gehirns, die in uns dieselben Gefühle auslösen wie in den Menschen, die uns umgeben. Spiegelneurone sind der Grundstein dafür, dass wir uns in die Stimmungslage unseres Gegenübers hineinversetzen können.

Spannung mit den Sauen ist garantiert

Spiegelneurone greifen bei der Saujagd folgendermaßen: Der Jäger, der mit seinem Jagdfreund auf Ansitz ist, spürt die hohe Spannung und die starke emotionale Reaktion seines Gegenübers beim Auftauchen von Schwarzwild. Er erlernt, dass es beim Schwarzwild „um etwas geht“. Der passionierte Schwarzwildjäger überträgt so seine eigene Gefühlsreaktion auf die des angehenden Jägers – zusätzlich zu dem, wie er, tradiert durch sein besonderes Verhältnis zur Sau, aufgrund der Geschichte ohnehin reagiert. Wie wir auf Schwarzwild reagieren, unterliegt damit nicht unserer bewussten Entscheidung. Die Gefühle, die wir mit dem Schwarzwild verbinden, sind einfach in uns drin, ob wir wollen oder nicht. Die Natur hat sie im Laufe der Jahrtausende in unseren Gehirnen abgespeichert. Vernunftaspekte spielen dabei keine große Rolle, wenn wir fasziniert mit der Nase den Maggi-Geruch aufsaugen.

Unlogische Saujagd

Wenn Sie mittags schon wieder nachdenken, welche Kirrung am besten passt, und Ihnen Keiler Karl nicht aus dem Sinn geht, dann erklären Sie es sich nicht mit Logik. Denn mit Logik hat die Saujagd nichts zu tun – dafür macht sie zu viel Freude!