Schussverletzung beim Hund – Am seidenen Faden

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Bei der Hatz können sich sowohl Wild als auch Hund unerwartet verhalten. So kann es zu einer unglücklichen Schussverletzung kommen. (Symbolbild) Foto: Unsplash/Josiah Ness

Schussverletzungen bei Hunden sind zwar selten, aber sie kommen vor. Eine Erste Hilfe vor Ort ist mehr als schwierig, dennoch kann man als Hundeführer helfen, wenn man etwas über Schussverletzungen und ihre Behandlung weiß. Wie, das erläutern die beiden JÄGER-Tierärzte Dr. Andreas Engelke und Dr. Achim Meyer-Breckwoldt.

Dichtes Unterholz, Brombeeren und schließlich eine kurze Hatz: Drahthaar-Rüde Bert stellte die Sau in einer kleinen Senke. „Es war alles ziemlich eng und unübersichtlich“, erzählte sein Führer, ein erfahrener Nachsuchenmann, später. „Kaum Platz.“ Mehrfach habe die Sau Bert angenommen, immer sei der Hund zurückgewichen, habe aber wieder und wieder passioniert nachgesetzt. Und dann passierte es: „Als Bert etwa drei Meter weg war, wähnte ich ihn außerhalb der Gefahrenzone und schoss.“

Der Schwarzkittel lag im Knall – der Hund leider auch. Ein Splitter hatte ihn vor dem rechten Oberschenkel im Bereich der Flanke getroffen, etwas weiter hinten war der Ausschuss zu sehen. Überall Blut, ein offenbar lebloser Hund. Eine beklemmende Situation, in der der schockierte Hundeführer das einzig Richtige tat: Er wählte die zuvor im Handy gespeicherte Nummer der Tierklinik: „Wenn der Hund getroffen wird, ist Zeit der alles entscheidende Faktor“, erklärt Dr. Andreas Engelke aus der Tierklinik Quickborn. „Denn vor Ort kann man als Hundeführer leider fast gar nichts machen.“

Schussverletzung durch Schrote

Schussverletzungen bei Jagdhunden gehören nicht zum medizinischen Alltag von Tierärzten, kommen jedoch immer wieder vor. Die gute Nachricht aber lautet: Sie werden seltener. Eine offizielle Statistik gibt es nicht, eine Umfrage unter elf Tierkliniken aber ergab: Waren angeschossene Jagdhunde vor wenigen Jahren noch „nicht ungewöhnlich“, so sind sie heute „eher selten“: „Das hat zum einen sicherlich etwas mit dem Rückgang der Niederwildjagd – insbesondere dem der Kanin – zu tun, vor allem aber etwas mit dem verstärkten Sicherheitsbewusstsein der Jäger“, vermutet Dr. Achim Meyer-Breckwoldt aus der Tierklinik Quickborn.

Blutige Wunde des Oberschenkels eines Drahthaar-Rüdens.

Schussverletzung: Der Geschosssplitter drang vor Bert’s Oberschenkel ein und trat hinten wieder aus. Foto: Dr. Achim Meyer-Breckwoldt

Dennoch sind auf Röntgenbildern jagdlich geführter Hunde – sehr zum Entsetzen ihrer Besitzer – immer mal wieder Schrote zu sehen: „Hat der Hund ein langes, dichtes Fell, kriegt man als Hundeführer meist gar nicht mit, dass der Hund was abbekommen hat.“ Und auch dem Hund selbst sieht man die Verletzung meist nicht an: „Eine Schrotgarbe hat in fünf Meter Entfernung eine Geschwindigkeit von etwas 400 Meter pro Sekunde, streut dann aber schnell und verliert auch stark an Geschwindigkeit. Wenn ein Hund von einzelnen Schroten getroffen wird, spürt er das im Eifer des Treibens wahrscheinlich selbst kaum“, so der Tierarzt. Und auch aus medizinischer Sicht werden einzelne Schrote selten zum Problem: „Die meisten werden vom Körper schnell mit Gewebe umschlossen und abgekapselt.“

Das Risiko einer Bleivergiftung ist wissenschaftlich zwar noch nicht endgültig geklärt, sicher aber ist, dass das Entfernen der meisten Schrote für den Hund belastender ist, als sie im Körper zu lassen: „Nur bei Schroten im Gelenk muss man operieren.“ Denn die Gelenkflüssigkeit scheint das Blei herauszulösen, was auf Dauer zu Vergiftungssymptomen und Nervenschäden führen kann. „Und ein Hund, der im Gelenk getroffen wurde, wird humpeln und Schmerzen haben“, erklärt Dr. Meyer-Breckwoldt: „Der Hundeführer wird deshalb schnell merken, dass etwas nicht in Ordnung ist.“

Anatomie der Schussverletzung

Gefährlicher und medizinisch problematischer sind Schussverletzungen durch Büchsengeschosse. Denn wie schwer ein Hund durch ein Geschoss verletzt wird, hangt zum einen von der kinetischen Energie des Geschosses und zum anderen vom Geschoss selbst ab. Vollmantelgeschosse, wie sie zum Beispiel die Polizei verwendet, durchschlagen den Körper fast ohne zu deformieren und zerstören so auch weniger Gewebe. Steck- oder glatte Durchschüsse sind möglich. Jagdliche Teilmantelgeschosse aber zerlegen sich und sind so leider unberechenbar: „Eine vor etwa einem Jahr angeschossene Münsterländer-Hündin verstarb noch auf dem Weg zu uns, obwohl die Kugel augenscheinlich nur das Kniegelenk getroffen hatte”, erzählt Dr. Andreas Engelke. Bei der späteren Untersuchung stellte sich heraus: Einzelne Splitter waren in den Bauchraum eingedrungen, hatten dort Leber, Magen und Darm schwer verletzt.

Ein kurzer Exkurs in die Physik: Eine aus einer 300-er Winchester Magnum abgefeuerte Kugel erreicht auf 100 Meter eine Geschwindigkeit von 3.276 Stundenkilometer – das ist das 2,7-fache der Schallgeschwindigkeit – und schlägt mit einer Wucht von 4.513 Joule auf den Körper auf. Rein rechnerisch entspricht das der Wucht eines 451 Kilogramm schweren Bleiklumpens, der aus einem Meter Höhe auf den Boden fällt! Hinzu kommt der sogenannte „Kavitations-Effekt“: Das Wort stammt aus dem Lateinischen und bedeutet „aushöhlen“. Durch den Druck des in den Körper einschlagenden Geschosses entsteht ein Hohlraum, der das Gewebe zerstört und bis zu 40 Mal größer sein kann als das Geschoss selbst.

Und schließlich: Der Zerstörungsgrad eines Geschosses hängt stark davon ab, wie fest der Körperteil ist, in den es einschlägt. Als Faustformel gilt: Je fester das Gewebe, um so größer der Schaden. Durchschlägt das Geschoss einen Hautlappen (etwa ein Ohr oder eine Kniefalte), wird kaum Energie absorbiert und wenig Schaden angerichtet. Bei einem Lungen-, Muskel- oder Lebertreffer wird mehr Energie aufgenommen. Am stärksten ist die Gewebezerstörung, wenn die Kugel auf einen Knochen trifft. Der Knochen splittert in viele kleine Fragmente, und als wäre das nicht schon genug, zerlegt sich gleichzeitig der kompakte Teil des Geschosses in kleinere Anteile, die als sekundäre Geschosse auch noch das umliegende Gewebe zerstören.

Medizinische Versorgung einer Schussverletzung

Eine für den Hundeführer schlechte Nachricht vorweg: Angeschossene Hunde sind in der Regel polytraumatisiert. Sie stehen unter Schock, haben Atemnot, bluten stark – und vor Ort können Sie so gut wie gar nichts tun, außer den Hund schnellstmöglich zum Tierarzt zu bringen.

Es sind einzelne Minuten, die zählen, und auch dem Tierarzt bleibt nicht viel Zeit. Schnell und routiniert muss er den Zustand einschätzen: Ist der Hund ansprechbar? Ist sein Kreislauf stabil? Bekommt er genug Luft? Wundern Sie sich nicht, wenn der Tierarzt der blutenden Eintrittswunde zunächst keine Beachtung schenkt. Zuerst geht es um die Erhaltung des Lebens: den Blutkreislauf, die Sauerstoffversorgung. In den schlimmsten Fällen kämpft der Arzt an mehreren Fronten um das Leben des Hundes: Trifft ein Geschoss beispielsweise den Brustkorb, so kann es dort hinein bluten (Hämothorax), die Lungentätigkeit wird erschwert und der Hund droht zu ersticken. Zugleich gelangt durch die Eintritts- oder Austrittswunde oder das verletzte Lungengewebe Luft in den Brustkorb, und der für die Funktion der Lunge notwendige Unterdruck kann nicht aufrechterhalten werden (Pneumothorax).

Ist der Hund stabil, geht’s weiter: Röntgen, Ultraschall und Labor. Es ist wichtig, die genaue Geschossflugbahn im Körper zu kennen. Bei Bauchschüssen kann zum Beispiel auch der Darm verletzt sein. Sein Inhalt tritt in der Bauchhöhle aus, das Bauchfell entzündet sich. Oder es trifft die Milz, und es kommt zu massiven Blutungen – nur zwei Beispiele von vielen, bei denen schnelles chirurgisches Eingreifen nötig ist.

Operation im vollen Gange.

Operation: Nur fachmännisch behandelt, ist Bert’s durchschossener Knochen zu retten. Foto: Dr. Achim Meyer-Breckwoldt

…und Bert?

Auch bei dem Drahthaar-Rüden Bert galt es, konzentriert die Notfall-Checkliste abzuarbeiten. Der verletzte Lauf war offensichtlich, aber so unverständlich es für den verzweifelten Hundeführer auch erschien – erst sicherte man die Vitalfunktionen. Bert war im Schock, bekam über einen Venenkatheter Medikamente und Infusionen, gleichzeitig wurden die Wunde am Lauf provisorisch versorgt, die Blutung gestoppt und ein Druckverband angelegt. Im Röntgenbild zeigte sich dann, wie viel Glück im Unglück Bert gehabt hatte – keine Geschosssplitter im Bauchraum, die Organe allesamt unverletzt. Jedoch hatte das Geschoss den Oberschenkelknochen mittig getroffen und vollkommen zersplittert – der Laborbefund ergab, dass er viel Blut verloren hatte.

Röntgenbild eines zersplitterten Oberschenkels eines Hundes.

Röntgenbild vor der Operation: Es zeigt, was der Splitter an Berts Oberschenkel angerichtet hat. Foto: Dr. Achim Meyer-Breckwoldt

Nach einigen Stunden zeigten Infusionen, Kreislaufmedikamente und Schmerzmittel ihre Wirkung – Bert war wieder stabil und konnte nun in Narkose gelegt werden. „Da man eine solche Trümmerfraktur, wie Bert sie gehabt hat, nicht mit verschraubten Platten stabilisieren kann, haben wir ein langes Implantat in die Markhöhle des Knochens eingesetzt und das fehlende Stück so quasi überbrückt“, erzählt Dr. Andreas Engelke. „Danach hat es zwar ein paar Wochen gedauert, bis er den Lauf wieder voll belasten konnte. Heute sieht man kaum noch etwas von dem Unfall.“

Röntgenbild eines eingesetzten Implantats bei dem Oberschenkelknochen eines Hundes.

Röntgenbild nach der Operation: Deutlich ist das eingesetzte Implantat in der Markhöhle von Berts Oberschenkelknochen sichtbar. Foto: Dr. Achim Meyer-Breckwoldt

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