Das Niederwild stirbt – und wir sind schuld.

Seit Jahren jammern Jäger über Niederwild. Es ist Zeit für Selbstkritik. Wir Jäger könnten mehr tun – Günther von Jagow sagt, was genau.

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© Pauline v. Hardenberg

Wir Jäger vernachlässigen unser Niederwild! Wir Jäger jagen nicht mehr waidgerecht! Das unterstellt uns Günther von Jagow. Aber nicht ohne zu sagen, warum und wie es besser zu machen wäre.

Diesen Beitrag habe ich auf der Grundlage meiner jagdpraktischen Erfahrungen und Beobachtungen verfasst. Ich nehme darin Verallgemeinerungen vor, die nicht jedem Einzelfall gerecht werden, sondern nur die von mir wahrgenommenen Tendenzen wiedergeben.

Der Gesetzgeber hat die Jagd mit dem Auftrag verbunden, einen artenreichen und gesunden Wildbestand zu erhalten, zu hegen und Ehrfurcht vor dem Leben des Wildes zu haben, das heißt, waidgerecht zu handeln. Es lässt sich derzeit nicht erkennen, dass wir diesem Auftrag gerecht werden. Wir sind dabei, komplett zu versagen: der Niederwildbesatz ist zum Erbarmen, der Schalenwildbestand wird gerade ruiniert, Hege und Waidgerechtigkeit geraten in Vergessenheit.

 Niederwild – Was wir falsch gemacht haben

Seit Jahrzehnten beklagen wir den kontinuierlichen Rückgang des Hasenbesatzes und das Verschwinden der Rebhühner. Außer zu jammern, haben wir flächendeckend nichts unternommen und uns stattdessen den Rehen und Sauen gewidmet. Reviere, in denen die Niederwildhege noch immer ernstgenommen, das Raubwild scharf bejagt und nennenswerte Flächen zum Überleben bereitgestellt werden, sind die Ausnahme.

Auf JÄGERPRIME zeigen wir, wie eine erfolgreiche Fuchsjagd aussieht.

Hauptverursacher des Niederwildrückgangs ist die Landwirtschaft, die mit ihrer schlagkräftigen, schnellen und breiten Großtechnik jede bewirtschaftete Fläche bei jedem Arbeitsgang in eine Todeszone verwandelt. Hase, Fasan und Rebhuhn haben bereits vor der Ernte kaum Überlebenschancen, da fast alle Ackerflächen nach der Aussaat mehrfach mit Mineraldüngersteuer und Pflanzenschutzspritze überfahren bzw. im ökologischen Landbau gestriegelt werden. Mit der Erntezeit beginnt die zweite Katastrophe.

Seit Jahren jammern Jäger über Niederwild. Es ist Zeit, für Selbstkritik. Wir Jäger könnten mehr tun - Günther von Jagow sagt, was genau.

© vincent van zalinge / unsplash.

Das Niederwild, das rechts und links der Erntetechnik und der mehrfachen Bodenbearbeitung entkommen konnte, braucht Glück, um nicht von den Greifvögeln geschlagen zu werden, die sich darauf spezialisiert haben, sämtliche landwirtschaftlichen Ernte- und Bodenbearbeitungsgänge zu begleiten, um insbesondere die kopflos umherirrenden Junghasen zu schlagen. Entsprechendes geschieht auf dem Grünland. Den schnellen Mähwerken, Wendern, Schwadern, Pressen und Häckslern und den sie begleitenden Greifvögeln entgeht kein Gelege und kein Stück Jungwild.

Wer vor der Ernte mit wachem Blick über den Acker geht, wird außer den dort angebauten Früchten, zum Beispiel Getreide, Zuckerrüben oder Kartoffeln, keine anderen Pflanzen entdecken, genauso wenig Vögel, Insekten, Larven oder Kriechtiere. Das in der Schöpfungsgeschichte in wunderbarer Formulierung erwähnte „Gewimmel“ existiert nicht mehr. Es hat sich auf unseren landwirtschaftlichen Nutzflächen ausgewimmelt. Es summt, brummt und zwitschert auf unseren Feldern nicht mehr.

Was wir jetzt ändern müssen

Seit Jahren jammern Jäger über Niederwild. Es ist Zeit, für Selbstkritik. Wir Jäger könnten mehr tun - Günther von Jagow sagt, was genau.

© Lukasz Smigiel auf Unsplash. Eine Einöde sondergleichen. Ohne Deckung und Nahrung haben es hier unsere Niederwildarten schwer.

Die Bundesrepublik Deutschland verfügt ausweislich der Agrarstrukturerhebung 2016 über landwirtschaftliche Nutzflächen im Umfang von 16,6 Millionen Hektar, davon 1,1 Millionen Hektar ökologisch bearbeitet. So gut wie alle Nutzflächen scheiden für wildlebende Tiere aufgrund der schlagkräftigen landwirtschaftlichen Bearbeitung als Lebensraum aus. Das Vogel- und Insektensterben ist eine weitere Folge. Den Begriff „Lebensraum Feldflur“ müssen wir streichen, da helfen auch keine vereinzelt liebevoll gepflanzten Hegebüsche oder Obstbäume alter Sorten. Wir müssen in ganz anderen Größenordnungen denken und überzeugend hegen.

Die Vernetzung unserer Reviere über die gesamte landwirtschaftliche Nutzfläche der Bundesrepublik gibt unserer Jägerschaft eine Riesenchance, zu handeln und ein einzigartiges, ökologisch wertvolles Mosaik in ganz Deutschland zu schaffen. Ich spreche von der Einrichtung von Überlebensräumen in jedem Jagdrevier mit landwirtschaftlichen Nutzflächen. Unsere Revierinhaberinnen und Revierinhaber können dies organisatorisch und praktisch zusammen mit den örtlichen Landwirtschaftsbetrieben leisten. Wir müssen uns nur rühren.

Die gesamte Feldflur sollten wir in einer verabredeten Aktion bundesweit revierübergreifend mit Überlebensräumen für das Niederwild ausstatten. Die Inhaberinnen und Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe sind bei vernünftigen Maßnahmen, die für sie zu keinem finanziellen Nachteil führen, kooperationsbereit und haben das Problem des Zusammenbruchs von Ökosystemen auf ihren landwirtschaftlichen Nutzflächen längst erkannt. Die Greeningverpflichtung in der EU-Beihilfe und die GAP-Reform gibt der Landwirtschaft Freiräume, die die Jägerschaft mit überschaubarem Aufwand ausfüllen kann.

Womit wir dem Niederwild helfen

Seit Jahren jammern Jäger über Niederwild. Es ist Zeit, für Selbstkritik. Wir Jäger könnten mehr tun - Günther von Jagow sagt, was genau.

© Pixabay. Unbearbeitete Flächen bieten unserem Niederwild wertvolle Rückzugsräume.

Als Überlebensräume halte ich aus eigener Erfahrung Altgrasstreifen für geeignet, die für mindestens 36 Monate eingerichtet und nicht gepflegt, das heißt weder gemulcht noch gemäht werden (Das müssen die Landesjagdverbände mit den zuständigen Landwirtschaftsministerien hinsichtlich der Beihilfefähigkeit abstimmen). Die Altgrasstreifen dürfen nicht zu schmal und nicht zu breit sein. Zu schmale Streifen unter 15 Meter Breite werden für das Niederwild zur Todeszone, da Raubwild nur täglich unter Wind die Streifen patrouillieren muss, um mit der Zeit auch das letzte Stück Niederwild daraus zu erbeuten. Streifen mit einer Breite von über 40 Meter sind überdimensioniert.

Altgrasstreifen dienen nicht nur dem Überleben des Niederwildes, sondern dem Überleben aller in der hiesigen Feldflur vorkommenden Arten wildlebender Tiere. Sie sind aus Natur- und Artenschutzgründen willkommen. Sie entstehen durch einfaches Liegenlassen eines abgeernteten Ackerstreifens und können im Fall einer Saatgutspende nebst Aufwendungsersatz an den Landwirtschaftsbetrieb auch durch Wildkräuter angereichert werden. Sie haben den Vorteil, dass sie auch auf dem Grünland angelegt werden können. Dort geben sie den wildlebenden Tieren ebenfalls den dringend notwendigen Raum zum Überleben (die Landwirtschaftsbetriebe benötigen auf Grünland einen gesonderten finanziellen Ausgleich durch die Revierinhaberin/den Revierinhaber, da ein jährlicher Ernteverlust damit verbunden ist).

NABU mach Platz – was wir erreichen können

Seit Jahren jammern Jäger über Niederwild. Es ist Zeit, für Selbstkritik. Wir Jäger könnten mehr tun - Günther von Jagow sagt, was genau.

© Pixabay. Kleinteilige Agrarlandschaften sind perfekt für unser Niederwild.

Im Rahmen des Greenings sind landwirtschaftliche Betriebe grundsätzlich verpflichtet, fünf Prozent der Ackerflächen aus der Produktion zu nehmen. Wenn die Revierinhaberinnen und Revierinhaber davon 20 Prozent in Überlebensräume verwandeln könnten, wäre dies ein Riesenschritt zum Erhalt des Niederwildes, der Vögel und der Insekten, so dass unsere Jagdverbände bei den zuständigen Stellen Gehör finden werden, wenn sie sich im Schulterschluss mit den Natur- und Artenschutzorganisationen ernsthaft und nachdrücklich verwenden.

Die Initiative der Jägerschaft würde etwa 160.000 Hektar Feldflur ökologisch aufwerten und wäre ein beispiellos positiver Artenschutzbeitrag der Jägerinnen und Jäger in Deutschland. Bei einer durchschnittlichen Überlebensraumbreite von 20 Meter ergäbe sich pro Hektar eine Streifenlänge von 500 Meter. Es ist realistisch anzunehmen, dass pro Hektar Überlebensraum während der 36 Monate zehn Junghasen vor dem Großmaschineneinsatz bewahrt werden, was für die Fläche der Bundesrepublik Deutschland 1,6 Millionen gerettete Hasen ausmacht.

Unterstellen wir, dass sich auf jedem 100sten Schutzstreifen eine Kette Rebhühner etabliert, wären die Rebhühner vor dem Aussterben bewahrt. Gleichstellig positive Effekte würden für die Bodenbrüter, Insekten und Amphibien entstehen. Mein Vorschlag, in der gesamten Feldflur von Deutschland Überlebensräume für Wildtiere in Form von Altgrasstreifen im Umfang von 160.000 Hektar zu schaffen, ist keine illusionäre Spinnerei, sondern kurzfristig umsetzbar, wenn wir die Hege ernst meinen.