Zwischen Zoo und Inzest – der falsch verstandene Naturschutz und seine Folgen

Während der Hirsch von Inzucht bedroht ist, kennt die Glorifizierung des Wolfs keine Grenzen. Ein Kommentar über falsch verstandenen Naturschutz.

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Der Inzuchtgrad beim Rotwild ist beängstigend hoch. Foto: Pixabay

Bauernopfer bei den Cerviden

Die selbsternannte Naturschutzlobby großer Verbände orientiert sich in Deutschland nicht mehr nur an der Schaffung neuer Lebensräume und am Erhalt aller Arten, sondern hat zunehmend die Vermarktung besonders charismatischer Tiere sowie der eigenen, häufig wissenschaftsfernen Ideologie im Sinn. Anders lassen sich die Forderungen nach dem ganzjährigen Schutz von Füchsen und Neozoen prominenter NABU-Vertreter und die Glorifizierung des Wolfs kaum erklären. Reinster Artenpopulismus möchte man meinen, der in einigen Bundesländer bereits zu geltendem Recht wird.

Doch fernab des städtischen Idylls der Mülleimer leerenden Waschbärwelpen, des in der fernen, romantischen Wildnis des ländlichen Raums umherschleichenden Grauhunds und der von PETA gehegten Minkpopulationen, haben wir ein veritables Naturschutzproblem.

Inzucht vor der Haustür

Der Hirsch, einst waren zehn von zehn Dorfgaststätten nach ihm benannt, heute kennen ihn die meisten Bundesbürger nur noch aus Tierdokus im Vorabendprogramm. Und leider steht es nicht gut um die letzten noch vorhandenen deutschen Rotwildvorkommen. Wie neuste Forschungsergebnisse der Uni Göttingen belegen, ist der Grad der Inzucht beim Rotwild extrem hoch. Ein genetischer Austausch mit anderen Populationen findet wenig, bis gar nicht statt und die Gründe dafür sind vielfältig. Während man in den letzten Jahren für den Wolf die wildesten Maßnahmen vorantrieb, um Lebensräume zu vernetzen und Isegrim für jedes gesetzte Häufchen lobte, ist der König der Wälder für die Naturschutzlobby eher uninteressant. Totgeschwiegen und totgeschossen, zum Wohle des klimastabilen Mischwaldes, fristet er ein Schattendasein. Dabei ist es in Sachen Hirsch bereits viertel nach zwölf! Verkürzte und verformte Kiefer der Tiere zeugen von den dramatischen Zuständen.

Hirsch – Wenn der Stammbaum zum Kreis wird

Wie ernst die Lage tatsächlich ist, verdeutlichen die Ergebnisse der Göttinger Forscher, die der DJV nun vorstellt. Von den mehr als 1100 Proben aus 34 Rotwildvorkommen war nur bei zweien die, für eine gesunde Fortpflanzung erforderliche, Anzahl von 500 an der Brunft beteiligten Tieren gewährleistet. Weitestgehend sind die Vorkommen so isoliert, dass kein Austausch zwischen ihnen stattfinden kann. Der Inzuchtgrad der meisten Vorkommen entspricht dabei dem einer Verpaarung von Halbgeschwistern oder von Eltern und Kindern. Die Ursachen dafür sehen die Biologen im Fehlen von Grünbrücken sowie in den klein dimensionierten Rotwildgebieten, außerhalb derer jegliches Rotwild rigoros getötet wird.

Ein Dilemma ohne Auswege?

Wo kein Wild ist, da kann auch kein genetischer Austausch stattfinden, das liegt auf der Hand. Doch während wir für manch andere Tierart bereit sind jedes nur erdenkliche Opfer zu bringen, hört diese Bereitschaft beim Rotwild schlagartig auf. Das Problem: für viele Waldnutzer ist der Hirsch per definitionem ein Schädling. Das mag krude bis befremdlich klingen, ist aber leider bittere Realität. Denn wenn ein Wolfsrudel bei diversen privaten Nutztierhaltern ganze Schafherden massakriert oder eine Herde Jungrinder auf die Autobahn treibt, ist es noch nicht verhaltensauffällig. Der Wolf ist halt ein wildes Tier oder das Verhalten liegt ihm in der Natur, so ist zu vernehmen. Ein Hirsch jedoch, der sich erdreistet an einer halbtrockenen Fichte die Rinde abzuziehen, ist Staatsfeind Nr. 1 oder zumindestens Persona non grata. Dass das Rotwild in Ermangelung anderer Lebensräume und aufgrund massiver Störung seines natürlichen Verhaltens wohl nicht anders kann, stand bislang nicht zur Debatte. Es ist jedoch allerhöchste Zeit über die Natur des Hirschen im gesamten Bundesgebiet zu sprechen. Denn auch das Bundeswaldgesetz schreibt nicht vor: der Wald ist eine Plantage ohne Tiere, sondern misst ihm eine große Bedeutung für Umwelt und Naturhaushalt bei.

Mit Hirsch und ohne Brett vorm Kopf!

Dass sich der König der Wälder bei uns flächendeckend wohlfühlt, wenn man ihn lässt, hat er bereits über Jahrtausende bewiesen. Die ersten Vorfahren des heutigen Rotwilds Cervus elaphus acoronatus haben bereits vor rund 800.000 Jahren gelebt. Und auch heute sind viele Lebensräume, im Allgäu, im Chiemgau, in Thüringen, aber auch in Baden-Württemberg, Hessen und weiten Teilen Mecklenburg-Vorpommerns, um nur einige zu nennen, rotwildfrei.
Bei genauem Hinsehen macht es betroffen, dass wir als hochentwickelte Industrienation nicht im Stande sein sollen, dem König der Wälder sein Zuhause zurückzugeben, obwohl dies jederzeit möglich ist. Denn wenn wir bereit sind, für Luchs und Wolf ganze Wildarten zu opfern, können gesunde Rotwildbestände nicht an ein paar Bäumen scheitern.