Kurzwaffen auf der Jagd: In der Kürze liegt die Würze?

Aufmacher Kurzwaffen

Am Gürtel des Nachsuchenführers sind Kurzwaffen in brenzligen Situationen schnell gezogen. © Eike Mross

Von den einen geliebt, von den anderen verteufelt: Kurzwaffen. Jens Tigges zeigt die Vor- und Nachteile der kompakten Fangschusswaffen bei der Schwarzwildjagd.

Das Thema Kurzwaffe wird seit jeher kontrovers diskutiert. Zum einen bedeutet die Kurzwaffe einen Leistungsverlust gegenüber der Langwaffe, zum anderen erfordert ihr Einsatz viel Erfahrung und Übung – eine Voraussetzung, die natürlich auch für den Einsatz von Langwaffen gilt. Auch hier ist gezieltes, regelmäßiges Training erforderlich, um sein Werkzeug zu beherrschen.

Keine Experimente bei der Schwarzwildjagd!

Sauen sind gefährlich, kranke Sauen sind noch gefährlicher. Ohne funktionierendes Werkzeug wird darum jede Nachsuche unweigerlich zum riskanten Unterfangen mit ungewissem Ausgang.

Inwiefern die Kurzwaffe auf der Nachsuche das geeignete Werkzeug ist, um einen sauberen und tierschutzgerechten Fangschuss antragen zu können, erklären Jens Tigges und Nachsuchenführer Maximilian Wiegand. Wegen ihrer meist geringeren Leistung sind die Anforderungen an funktionierende Kurzwaffenpatronen in puncto Geschoss und Laborierung nochmals entsprechend höher.

Kurzwaffen: Wann und warum?

Weshalb und wann greift der Profi Maximilian Wiegand auf der Nachsuche an den Gürtel und nicht auf den Rücken nach der Büchse? Vor allem, weil er in den meisten Revieren, in denen er zur Nachsuche gerufen wird, mit alten Weinbergen, steilen Hängen und wildestem Schwarzdornverhau konfrontiert ist. Hier ist der Einsatz des Repetierers teils unmöglich. Hinzu kommt, dass Maximilian als erfahrener IPSC-Kurzwaffenschütze sehr geübt im Umgang mit der Pistole ist und aus diesem Grund oft die Pistole der Langwaffe vorzieht.

Die Hohlspitze von Gero trennte sich von ihrem Mantel. <strong>Alle Fotos: Jens Tigges</strong>

Das Magtech Geschoss vermochte keine große Kaverne und starke Wirkung zu erzeugen.

Das Geschoss der Speer Gold Tot im abgeschossenen Zustand. Die Fahnen rissen teils ab.

Kein Problem dank hohler Spitze?

Zunächst testet Maximilian eine Standard-Hohlspitzlaborierung, in diesem Fall von GECO, in seinem bevorzugten Kaliber .45 Auto, welches er aus seiner bewährten 1911er Colt Commander mit 4,5“-Lauf verschießt. Mit 230 grs./14,9 g hat dieses Geschoss auch eine hohe Masse, was für die notwendige Tiefenwirkung sorgen sollte. Doch leider enttäuschte die Laborierung schon beim ersten Einsatz auf Schwarzwild durch zu schwache und verzögerte Wirkung bei Treffern von vorn in die Kammer (Brustraum).

Was war geschehen? Beim Bergen der Geschosse zeigte sich, dass die Geschosse zwar wie erwartet sehr früh angesprochen hatten und auf fast doppelten Geschossdurchmesser expandiert waren, aber leider hatte sich der Mantel relativ früh vom Bleikern getrennt. Dem Hersteller ist in diesem Fall kein Vorwurf zu machen. Sind diese Konstruktionen aus weichem Reinbleikern und dünnem Tombakmantel doch vornehmlich zum sportlichen Schießen und maximal dem Einsatz auf weichere Ziele gedacht. Beim Auftreffen auf den Wildkörper passierte dann, dass nicht nur das gesamte Geschoss zu schnell und zu stark aufgepilzt ist, sondern dass sich auch der Mantel, der die Aufpilzfunktion zu einem guten Maß steuert, sehr früh vom Bleikern getrennt hat. Dadurch wurde die Energie zu schnell umgesetzt. Das führt zum einen dazu, dass die Tiefenwirkung nicht sehr hoch ist, weil das sehr früh und stark aufgepilzte Geschoss – beziehungsweise hier sogar nach kurzem Weg nur der Bleikern – schnell im Wildkörper abgebremst wurde.

Dabei muss man bedenken, dass Kurzwaffengeschosse in aller Regel keine große temporäre Wundkaverne wie ein Büchsengeschoss erzeugen, weil dazu die Geschwindigkeit fehlt. Kurzwaffengeschosse wirken in erster Linie durch die Gewebezerstörung im Geschosskanal; und dessen Durchmesser wird durch den aufgepilzten Geschossquerschnitt, aber eben auch nicht unwesentlich durch dessen Länge beeinflusst. Mehr Gewebezerstörung bedeutet einen schnelleren Abfall des Blutdrucks, der dann zur Bewusstlosigkeit und kurz darauf zum Tod führt.

Kontrolle ist gut!

Es musste also auf ein Geschoss gewechselt werden, das kontrollierter, verzögerter aufpilzt und dadurch mehr Tiefenwirkung erzeugt. Auf der Suche danach fiel das 165 grs./10,7 g Magtech Solid Copper Hollow Point auf. Das Geschoss besteht komplett aus Kupfer, es kann sich also nicht auftrennen. Die große Hohlspitze und Einkerbungen sollen das zähere Material aufpilzen lassen. Dadurch, dass Kupfer ein geringeres spezifisches Gewicht als Blei hat, fällt das Geschossgewicht signifikant niedriger aus, als es für das .45er-Kaliber üblich ist. Im Gegenzug ist die Geschossgeschwindigkeit höher, was bei dem zäheren Material kein Nachteil ist.

Das Flex-Lock-Geschoss setzt im Wildkörper viel Energie um.

Beim ersten Einsatz der Laborierung fiel die Wirkung allerdings ebenfalls sehr bescheiden aus. Beim Bergen der Geschosse zeigte sich auch, warum: Keines der Projektile hat bei Treffern von vorn in den Wildkörper aufgepilzt. Das Projektil von einem Knochentreffer zeigte sogar eine starke Einkerbung durch das Auftreffen auf das harte Material. Ein Grund dafür könnte neben dem verwendeten Geschossmaterial und der Ausführung der Kaverne auch die, trotz des geringeren Gewichts, immer noch sehr niedrige Geschwindigkeit sein. Eventuell auch ein Grund, warum Hersteller ihre Fabriklabore mit ähnlichen Geschosstypen wie beispielsweise GECO Action Extreme, Barnes XP oder Hornady Handgun Hunter vornehmlich in stärkeren und schnelleren Kalibern anbieten.

Die Suche geht weiter

Also musste weiter gesucht werden. Dabei gerieten Projektile/Laborierungen in den Fokus, die beim FBI-Zielballistik-Test gut abgeschnitten haben.

Im FBI-Test wird überprüft, ob ein Geschoss beim Beschuss von ballistischer Gelatine mit und ohne vorherigem Durchschuss verschiedener Barrieren – wie schwere Kleidung, Trockenbauwand, Sperrholz, Autoglas oder Blech – eine Mindesteindringtiefe mit möglichst hoher und gleichmäßiger Aufpilzung und Restgewicht erreicht. Einem Szenario, das dem Einsatz auf Schwarzwild mit möglichen Treffern sowohl ins weiche Gewebe als auch durch starke Knochen ähnelt. Die Speer Gold Dot war und ist eine der Patronen, die bei diesem Test sehr gut abschneiden und auch als Dienstmunition beim FBI und zahlreichen Behörden weltweit geführt wird.

Die Gold Dot gibt es in vielen Varianten. Maximilian wählte die 230 grs./14,9 g Speer Gold Dot Personal Protection-Laborierung. Deren Wirkung war auf Anhieb deutlich besser, fiel aber immer mal wieder auch signifikant geringer aus. Auch hier konnten die geborgenen Geschosse Auskunft über die seltenen Ausreißer in der Leistung geben. Bei praktisch allen „Bonded“-Geschossen muss zur galvanischen Verbindung mit dem Mantel reines, weiches Blei verwendet werden. Dadurch sprechen die Geschosse zwar in der Regel schnell an und durch die zähe Verbindung mit dem reinen Kupfermantel haben sie fast immer auch eine gute Tiefenwirkung. Die einzige Schwäche dieses Geschosstyps zeigt sich bei Treffern auf/durch harte Materialien, die dazu führen können, dass die Hohlspitze nicht wie gewünscht aufpilzt. Einige der aufgepilzten Projektile zeigen diese untypische Deformation, die dann zu weniger Energieabgabe und/oder Tiefenwirkung führen kann.

Die Critical Duty konnte auch durch ein hohes Restgewicht punkten.

Tigges’ Tipp für volle Leistung

Getestet wurde nun das „Flex-Lock-Geschoss“ von Hornady. Es besitzt einen leicht gehärteten Bleikern. Da dieser nicht elektrochemisch mit dem Mantel verbunden werden kann, wählte man eine mechanische Verbindung. Diese besteht aus einem breiten Ring im Inneren des Tombakmantels, der darüber hinaus unterschiedliche Wandstärken aufweist, um den Aufpilzprozess kontrolliert zu steuern. Das Geschoss wird in der Critical-Duty-Munitionslinie angeboten und ist inzwischen auch im Kaliber 9 mm Luger +P und in .40 S&W offiziell beim FBI als Dienstpatrone eingeführt.

Zusätzlich gibt es sie in den Kalibern .357 SIG, .357 Magnum, 10 mm Auto und .45 Auto. Die 9-mm-Luger-Laborierung hat als einzige der verfügbaren Kaliber aktuell noch keine CIP-Zulassung. Beim Einsatz durch Maximilian zeigte sich die 220 grs./14,3 g Hornady Flex Lock Critical Duty-Laborierung in .45 Auto dann auch als sehr zuverlässig und wirkungsstark. Zum Teil wurden Eindringtiefen nach Treffern von vorne durchs Blatt bis hin zum Waidsack beobachtet. Die Stücke zeichneten von allen verwendeten Laborierungen hier am stärksten und gingen auch am schnellsten nieder.

Kurzwaffen: Die Frage nach der Patrone

Nach einer unliebsamen Begegnung mit einem aggressiven Überläufer, der erst nach dem fünften potenziell tödlichen Treffer zum Ablassen überzeugt werden konnte, wurde auch hier die Wahl der Patrone neu überdacht. Die verwendete Patrone, die 125 grs./8,1 g Remington Golden Saber in 9 mm Luger +P+, war ausgesucht worden, weil es die Hohlspitzlaborierung mit der gemessen stärksten Leistung aus der geführten SIG Sauer X-Five mit 4,4“/112 mm Lauflänge war.

Leider hatte sich der Mantel eines jeden Geschosses früh vom Bleikern getrennt und demnach auch nicht schnell genug zur gewünschten Wirkung geführt. Kein Vorwurf an den Hersteller, der das Golden Saber auch als „Bonded“-Projektil im Angebot hat, was sicherlich nach jetziger Erfahrung die bessere Alternative gewesen wäre. Nach dem Wechsel auf das Kaliber .45 Auto aus einer SIG P220, ebenfalls mit 4,4“/112 mm Lauflänge, und der 220 grs./14,3 g Hornady Flex Lock Critical Duty-Laborierung fiel aber auch hier die Wirkung deutlich besser aus. Eine über 100 Kilo schwere, waidwunde Sau, die aufs Blatt und dahinter getroffen wurde, lag nach wenigen Metern.

Das erste Geschoss hatte bei etwa zwei Metern Schussentfernung beide Blätter durchschlagen und wurde auf der gegenüberliegenden Seite unter der Schwarte gefunden. Es war gleichmäßig aufgepilzt und hatte nur 0,1 g/1,5 grs. Gewicht verloren. Das zweite Geschoss, das hinter dem Schulterknochen eingedrungen war, hat sogar den Wildkörper komplett durchschlagen. Die Gewebezerstörung der beiden dabei durchdrungenen Lungenflügel ist für eine Kurzwaffe sehr beeindruckend.

Kurzwaffen bei der Jagd: So wird die Faustfeuerwaffe zum effizienten Werkzeug!

Die Geschosskonstruktion ist beim Einsatz als Fangschusspatrone, besonders beim Abfangen von annehmendem Schwarzwild, offensichtlich wichtiger als das Kaliber. Das Wichtigste ist die Kombination von ausreichender Penetration mit möglichst starker Wirkung. Mit „Wirkung“ ist die Umsetzung der Geschossleistung in Gewebezerstörung gemeint. Auf der Nachsuche ist dies der alles entscheidende Faktor. Dieser Bericht zeigt auch, wie schnell sich Laborierungen durch die Erfahrungen der Jägerschaft in der Praxis als geeignet herauskristallisieren. Bei der Verwendung von Dienstmunition sollte man nicht außer Acht lassen, dass diese für sogenannte Full-Size-Pistolen mit 4,4“/112-mm- bis 5“/127-mm-Lauflänge gedacht ist. Bei deutlich kürzeren Läufen kann die Leistung deutlich geringer ausfallen. Wie auch bei Langwaffen gilt es hier, die Munition an Lauflänge und Verwendungszweck anzupassen – und ausreichend mit Waffe und Munition zu üben.

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