Die heilende Kraft der Jagd

Tiere essen? Niemals! Fleisch essen? Gerne! Das Ausblenden und
Verschweigen des Todes macht es möglich. Die Natur ist schön! Schön brutal! Die
Entfremdung von ihr schreitet voran! Unaufhaltsam – weil anerzogen. Dr. Florian
Asche hat hierfür Beispiele. Beeindruckende! Gegenmittel? Jagd! Denn Jäger
müssen Probleme selber lösen.

jagenmitkindern.jpg

Das Restaurant Positano liegt im Stadtteil Hamburg-Eppendorf, einer Insel besserverdienender, politisch korrekter Eltern Anfang 40 mit einem Kind. Dort warte ich an einem lauen Sommerabend auf einen befreundeten Anwaltskollegen und freue mich auf den fachlichen Austausch und das Gespräch über Gott und die Welt. Am Nachbartisch hat sich eine dieser Familien niedergelassen, denen der Stadtteil zu gehören scheint. Mama und Papa haben die ersten grauen Strähnen, tragen Designerklamotten und teure Uhren. Das gemeinsame Kind spielt mit dem iPhone. Alle drei haben sich ein Ochsenfilet bestellt, das der Ober mit der typischen Dramaturgie des italienischen Oberklassengastronomen präsentiert.

Ich fange den Blick der Ehefrau auf, die sich augenscheinlich über den appetitanregenden Teller freut. Als höflicher Tischnachbar will ich ihre Euphorie teilen und wünsche einen guten Appetit. Tolle Wahl! Das war mit Sicherheit ein besonders glücklicher Ochse, der da auf den friesischen Wiesen gestanden hat. Schlagartig verdüstern sich alle beiden Elterngesichter am Nachbartisch und blicken mich anklagend und voller Abscheu an. Wie können Sie beim Abendessen von Tieren sprechen?! zischt sie. Da vergeht uns doch völlig der Appetit! Er legt ihr begütigend die Hand auf den Arm. Lass nur, Dani hat es ja nicht mitbekommen. Tatsächlich lässt der Zehnjährige sich seinen Ochsen, von dessen Vergangenheit er nichts hören soll, schmecken. Er blickt hoch und fragt: Was habt Ihr denn? Gerade möchte ich meinen Glückwunsch zur Unterstützung ökologischer Bullenmast wiederholen, da verschließt mir der aufgeregte Blick meiner Nachbarin den Mund. Guten Appetit also. Ich trinke meinem Nachbartisch zu.

Bild der Natur

Was für ein Naturbild haben diese kulturgeschädigten Eltern? Was für Eindrücke und Vorstellungen von der Natur vermitteln sie ihren Kindern? Typisch für die Natur ist zunächst einmal, dass Zivilisationskennzeichen wie Kommunikation, Planung, Harmonie und Erfolg kaum darin vorkommen. Im Gegenteil, der Misserfolg, das Drama und die Tragödie sind klassische Kennzeichen unserer natürlichen Umgebung. Blickt man in das Reich der Pflanzen und Tiere, so sieht man auf einen riesigen Lebens- und Überlebenskampf, in dem der Misserfolg die Regel ist. Ein Gepard greift zehnmal an, bevor er Beute macht.

Eltern zeigen ihren Kindern einen Bussard am Himmel, sagen Adler dazu und betonen, wie friedlich er dahinschwebt. Im Winter jagen sie über Skipisten, die mit der Schneekanone geschossen wurden, und atmen tief durch. Endlich einmal ein Tag in der freien Natur! Sie können nicht zwischen der Realität und ihrem virtuellen Naturbild unterscheiden.

Der Tod und das Töten werden von diesen Eltern nicht nur ausgeblendet, sondern planvoll verschwiegen, um die zarte Psyche des zukünftigen Erfolgträgers nicht zu gefährden. Bei einem Waldspaziergang traf ich eine Mutter mit ihrem Kind und kam ins Gespräch. Mitten in der Unterhaltung stieß mein Dackel plötzlich in einen Maulwurfshaufen und zog tatsächlich einen seiner Bewohner heraus. Als Erdhund packt so ein Raubautz nun einmal hart zu, und dementsprechend hauchte der kleine Tunnelgräber vor unseren Augen sein Leben aus. Was ist denn mit dem? fragte das sechsjährige Kind. Die Mutter legte den Arm auf die Schulter des Kindes und sagte nur: Ach, der schläft nur! Als ich den Vorfall wildbiologisch richtigstellen wollte, wehrte die Frau hinter dem Rücken des Kindes mit einer wilden Handbewegung ab. Aber ich hatte schon verstanden. So ein grausames Maulwurfsende wäre einfach zu viel gewesen für die zarte Seele des Kindes, das als Erwachsender später Firmen verschmelzen und Mitarbeiter freisetzen soll.

Sockel der Muße

Doch es ist nicht nur die Härte der Natur, die den Zivilisationsmenschen befremdet, sondern auch, dass die Beschäftigung mit ihr gesellschaftlich nicht so richtig anerkannt wird. In einer rundherum ökonomisch geprägten Gesellschaft gilt es für ein Kind geradezu als anstößig, tagträumend sich der Muße und der Langeweile hinzugeben, durch Büsche und Wiesen zu toben, zu beobachten, zu lauschen, in sich hineinzuhören und abends verdreckt und glücklich nach Hause zu kommen. Gerade darin liegt aber ein riesiger Schatz verborgen, Stoff für alle Kreativität der Zukunft. Und das gilt nicht nur für das Herumstromern in Wald und Feld.

Meine Eltern haben niemals versucht, mich von diesem Müßiggang abzuhalten. Wahrscheinlich wussten sie, wie wichtig all dieses Träumen von der Jagd war, ebenso grundlegend wie das Begleiten, Mitbeobachten und Miterleben selbst. Um unsere eigene Kreativität auszuleben, brauchen wir einen Sockel der Muße und des Selbstfindens in Ruhe und Langeweile. Für diese Erkenntnis bin ich meinen alten Herrschaften noch immer dankbar.

Selbst ist der Jäger

Die Jagd ist damit wie eine Kriegserklärung gegenüber all diesen Terminkalendern der Erfolgsorientierung. Ihr grundlegende Wahrheit ist es, dass sich Erfolg eben nicht erzwingen lässt, schon gar nicht durch die untergeschobene Hand unserer Eltern. Die Hindernisse des Jägers sind immer ganz sein eigenes Problem und können nicht durch überbehütende Eltern ausgeschaltet werden. Wir wissen, dass Wind und Wetter, Wild und Wald unser Leben auf der Jagd bestimmen und nicht Mami und Papi.

Wir Jäger sollten deutlich mehr Gewicht auf diese Gefühlserlebnisse und ihre heilende Wirkung gegenüber der Zivilisation und ihren Krankheiten legen. Dazu gehört allerdings, dass wir uns nicht zum Affen machen lassen, wenn es um unseren Müßiggang, unsere Riten und unsere Träume geht. Im Gegenteil, wenn wir nicht zum Teil einer behüteten, den Tod aussparenden, politisch korrekten Gesellschaft werden wollen, dann müssen wir angstfrei vor Kindern und Erwachsenen über Tod und Töten, über die Jagd und die Jagdleidenschaft sprechen. Leider gelingt uns das noch viel zu selten. Doch wenn wir mehr Sprache finden, um das ganzheitliche Leben auf der Jagd zu erklären, dann liefern wir einen Gegenentwurf zu den Helikoptern der Moderne.

Dr. Florian Asche

Heft 12/2013, S.30-33