Zum Wohle des Wildes – nicht des Reviers!

diana-parkhouse-AJ2vAykDyAM-unsplash-2

Foto: Unsplash/Diana Parkhouse

Hegegemeinschaft – Warum statt freiwilliger Zusammenschluss Körperschaft des öffentlichen Rechts, warum statt revierbezogener Abschüsse Gruppenabschüsse, das erläutert Biologe Prof. Dr. Hans-Dieter Pfannenstiel. Denn er zeigt hier auf, was die perfekte Hegegemeinschaft können muss – und was sie nicht können darf. Denn ist der Einfluss der Tiere auf den Klimawandel so groß, dass alles erlaubt ist?

Die Hege – Einfluss der Tiere auf den Klimawandel

Der Begriff Hege und seine Bedeutung werden gegenwärtig im Zusammenhang mit der Novellierung des Bundesjagdgesetzes kontrovers diskutiert. Hege- und Reviergemeinschaften, die sich Hege auf die Fahne geschrieben haben, werden von fortschrittlichen „Ökojägern“ verteufelt. Wildbiologen haben jedoch eine Reihe guter Gründe, weshalb sie Hegegemeinschaften in unserem Land mit seinem Reviersystem für sinnvoll, ja notwendig halten. Versteht man unter Hege alle Maßnahmen, die zu gesunden und an die Lan-
deskultur angepassten Wildbeständen führen – das ist schließlich die Forderung von Jagdgesetzen, dann ist dagegen wohl kaum etwas einzuwenden. Zudem bedeutet gesund im Zusammenhang mit Wildbeständen auch, dass dem Tierschutz Genüge getan wird. Immerhin genießt Tierschutz seit einigen Jahren Verfassungsrang (§ 20 a des Grundgesetzes). Allein diese schlichte Überlegung spricht klar dafür, Hege nicht nur separat auf Revierniveau zu betreiben, sondern in größeren Reviergemeinschaften, eben Hegegemeinschaften, denn Wild kennt keine Reviergrenzen. Hege generell als Auftrag zu „Überhege“, also zum Heranzüchten möglichst hoher Wildbestände zu diffamieren, ist zwar in Mode, jedoch unbegründet, ja eigentlich boshaft und von Ideologie geprägt.

Einheitliches Bejagen

Die im Bundesjagdgesetz festgeschriebenen Mindestgrößen für Jagdbezirke (z.B. 75 Hektar für Eigenjagdbezirke) sind im Vergleich zu den Streifgebieten unseres Schalenwildes (s. Tabelle S. 40) lächerlich klein. Ein Damhirsch beispielsweise wird sich im Jahreslauf in mehreren verschiedenen Jagdbezirken aufhalten. Ein in der Brunft unter Umständen viele Kilometer wandernder Rothirsch muss von seinem ursprünglichen Einstand eine ganze Reihe von Jagdbezirken durchqueren, bevor er am Brunftplatz seine Gene weitergeben kann. Gerade dieses Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, Rotwildpopulationen nach einheitlichen Kriterien zu bewirtschaften, will man die gesetzliche Forderung nach gesunden Wildbeständen ernst nehmen. Und das geht eben nur, wenn Hege über menschengemachte Reviergrenzen hinweg auf dem Niveau von Wildbeständen organisiert wird, die sich eben nicht an Reviergrenzen orientieren. Die in vielen Bundesländern noch existierenden Rotwild-Einstandsgebiete – ich nenne sie Rotwildknäste – verhindern den Genaustausch und führen, wie in Hessen bereits deutlich zu sehen, zur genetischen Verinselung, ja sogar Inzucht, die sich bereits phänotypisch durch Stücke mit verkürztem Unterkiefer zeigt. An diesem Punkt ist allerdings auch Selbstkritik der Jägerschaft angebracht. Muss denn in den Revieren außerhalb der Einstandsgebiete wirklich jeder in der Brunft wandernde Hirsch unbedingt sofort erlegt werden, sobald er im Revier auftaucht?

Verbindlicher Rahmen

Wie soll eine Hegegemeinschaft nun organisiert sein, und welche Aufgaben und Befugnisse soll sie haben? Die Idee der revierübergreifenden Wildbewirtschaftung im Sinne von gesunden Wildbeständen und Tierschutz ist so bedeutend, dass man nicht auf das Prinzip der freiwilligen Mitgliedschaft setzen sollte. Ich plädiere im Gegenteil dafür, Hegegemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts zu organisieren, wie das beispielsweise bereits in Rheinland-Pfalz gehandhabt wird. Ob dann jedes einzelne Revier wirklich mit Herz und Hand bei der Sache ist, bleibt dahingestellt. Aber der rechtliche Rahmen ist dann für alle Reviere einer Hegegemeinschaft verbindlich, und Verstöße dagegen können sanktioniert werden. Revieregoismus und Jagdneid – leider nach wie vor weit verbreitet – dürfen die Arbeit von Hegegemeinschaften nicht behindern. Leider sind manche der existierenden Hegegemeinschaften, insbesondere wenn es sich um Hochwild-Hegegemeinschaften handelt, zu reinen Verteilungsorganisationen von Hirschabschüssen verkommen. Das ist nicht Sinn der Sache und hat mit zum Negativimage von Hegegemeinschaften beigetragen. Zudem mangelt es manchen Hegegemeinschaften an wildbiologischen Kenntnissen und an starken Persönlichkeiten, die solche Erkenntnisse in der jagdlichen Praxis umsetzen wollen oder können. Deshalb habe ich die Zukunftsvision, dass es in jedem Landkreis bei der Jagdbehörde einen Wildbiologen oder Berufsjäger gibt, der in enger Verzahnung mit der Naturschutzbehörde die Arbeit einer Hegegemeinschaft begleitet und fachlich anleitet. Fast höre ich schon die Aufschreie. Zusammenarbeit der Hegegemeinschaft mit einer Naturschutzbehörde? Das geht doch gar nicht! Auch wenn es einen Einfluss der Tiere auf den Klimawandel gibt. Wenn Jagd in unserer Gesellschaft dauerhaft Akzeptanz finden will, geht jedoch meiner Meinung nach an einer besseren Zusammenarbeit von Jagd und Naturschutz kein Weg vorbei.

Bedeutungslosere Trophäen – Alles für Waldbau und gegen den Klimawandel?

Auch Bedeutung und formelmäßige Bewertung von Trophäen müssen im Zusammenhang mit der öffentlichen Wahrnehmung der Jägerschaft auf den Prüfstand. Dass ich damit in ein Wespennest steche, ist mir durchaus bewusst. Wir müssen als Jägerschaft aber endlich akzeptieren, dass Wildbestände nicht nur dann gesund sind, wenn sie möglichst viele Goldmedaillen-Trophäen hervorbringen. Eine Hegeschau verdient diesen Namen auch nur dann, wenn neben den ausgepunkteten Trophäen alle wildbiologisch relevanten Daten des bewirtschafteten Wildes auf einer solchen Schau präsentiert und zur Diskussion gestellt werden. Trophäenschauen als reine Knochenschauen mit der Ausstellung von ausgepunkteten und medaillegeschmückten Gehörnen, Geweihen oder Keilerwaffen sollten sich überlebt haben. Wichtig ist es auch, bei allen Beratungen und Entscheidungen der Hegegemeinschaft Eigentümer, also die Inhaber des Jagdrechts, und Landnutzer mit ins Boot zu holen. Dieses Kooperationsgebot muss in der Satzung einer Hegegemeinschaft verankert sein. Ohne enge Zusammenarbeit von Jägern, Landwirten und Waldbauern wird es keine Lösung des scheinbaren Wald-Wild-Konflikts geben. Die Ziele, insbesondere diejenigen der Waldbauern, müssen in einer Hegegemeinschaft bekannt sein, damit die Bejagung in breitem Konsens so gut wie möglich darauf abgestimmt werden kann.

Gemeinsame Bejagung

Die wichtigste Aufgabe von Hegegemeinschaften definieren Jagdgesetze: Schaffung oder Bewahrung gesunder Wildbestände in Übereinstimmung mit der Landeskultur. Ein gesunder Wildbestand ist nach Geschlecht und Altersklassen möglichst naturnah gegliedert. Das lässt sich bei Rot-, Dam- und Schwarzwild nur revierübergreifend durch gemeinsame Abschusspläne und gemeinsame Bejagung im Sinne von Gruppenabschuss realisieren. Hier muss man etwas weiter ausholen, um der Bedeutung des gemeinsamen Jagens nach dem Modell Gruppenabschuss gerecht zu werden. Wild kann nur in dem Revier erlegt werden, in dem es steht. Das ist eigentlich eine Binsenweisheit. Dennoch gibt es immer noch genügend Leute, die meinen, beim Gruppenabschuss schießt ja ein anderes Revier „mein“ Wild. Wird der Gesamtabschussplan eines Reviers portioniert und auf die einzelnen Reviere der Hegegemeinschaft verteilt, dann ist eine möglichst punktgenaue Erfüllung eines Abschussplans kaum möglich. Hat jemand einen reifen Hirsch frei  am Beispiel von Hirschen versteht fast jeder am besten, was gemeint ist, aber der steht während der Jagdzeit im Nachbarrevier, wo er möglicherweise in diesem Jahr nicht frei ist, dann wird er eben nicht erlegt. Beim Gruppenabschuss hat jedes Revier diesen Hirsch und alles andere Wild aus dem gemeinsamen Abschussplan frei. Revieregoismus und Jagdneid darf es dabei aber nicht geben. Nur die so zu erreichende Erfüllung von Abschussplänen wird mittelfristig zu naturnah gegliederten Wildbeständen führen. Ob tatsächlich ein nennenswerter Einfluss der Tiere auf den Klimawandel existiert, mag dahinstehen. Man muss sich aber auch darüber im Klaren sein, dass die Verteilung von Wild im Lebensraum mit jagdlichen Mitteln nur begrenzt möglich ist. Man kann zwar versuchen, durch räumliche und/oder zeitliche Abschusssperren eine möglichst gleichmäßige Verteilung der Jagdstrecke auf die Reviere der Hegegemeinschaft hinzukriegen, aber das gelingt nicht immer so, wie alle Beteiligten sich das wünschen. Doch auch damit müssen die Reviere einer Hegegemeinschaft leben.

Prozentuale Abschüsse

Gegliederte Abschusspläne beim Schalenwild werden oftmals zu Recht kritisiert. Wenn man weder die Höhe des Wildbestands noch das Geschlechterverhältnis kenne, seien Abschusspläne doch reine Makulatur. Deshalb müssen Abschusspläne tatsächlich im Wesentlichen nur folgende Grundregeln beachten, die auch ohne genaue Kenntnisse des Wildbestands angewendet werden können: 60 Prozent des Abschusses Jungwild (bis einjährig), 40 Prozent Wild ab Alter zwei Jahre, und 60 Prozent weiblich, 40 Prozent männlich. Durch Beachtung einiger wildbiologischer Parameter, die sich aus der Streckenauswertung ergeben, kann im Bedarfsfall zusätzlich steuernd eingegriffen werden. Treten beim Rehwild beispielsweise viele Knopfböcke auf, ist der Bestand zu hoch. Verschiebt sich beim Rotwild das Geschlecht der Kälber deutlich zugunsten der Wildkälber, dann ist der Bestand ebenfalls zu hoch. Um solche Entwicklungen zu erkennen, bedarf es aber einer sinnvollen Streckenauswertung und des notwendigen Sachverstands. An die Höhe des jährlichen Abschusses muss man sich herantasten, wobei Wildbretgewichte und die vernünftige Bewertung des Vegetationszustands hilfreiche Weiser sein können.

Erfordert der Einfluss der Tiere auf den Klimawandel größere behördliche Befugnisse?

Die Höhe der Wildbestände in einer Hegegemeinschaft, die ja für die Übereinstimmung mit der Landeskultur wichtig ist, lässt sich nur gemeinsam festlegen und verwirklichen. Übereinstimmung mit der Landeskultur heißt übrigens im Klartext – und auch das steht im Jagdgesetz , Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Fischereiwirtschaft müssen ohne wesentliche Beeinträchtigungen durch Wild möglich sein. Hegegemeinschaften müssen also auch der Entwicklung der Wildschäden in Feld und Wald gehörige Aufmerksamkeit schenken und gegebenenfalls energisch eingreifen.

Die Hegegemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts sollte in Bezug auf die Planung und Durchführung der Jagd die gleichen Befugnisse haben wie eine Untere Jagdbehörde. Das setzt aber selbstverständlich voraus, dass entsprechende Kenntnisse und Sachverstand in der Hegegemeinschaft vorhanden sind bzw. von Berufsjägern oder Wildbiologen als Mitarbeiter der Jagdbehörde beigesteuert werden. Der einen oder anderen Unteren Jagdbehörde unserer Landkreise täte ein solcher wildbiologischer Hintergrund auch heute schon gut.

Die Beschaffenheit eines Biotops, also des Lebensraums von Biozönosen (Gemeinschaft aller dort lebenden Tier- und Pflanzenarten), ist immer im Zusammenhang zu sehen mit dem Wildbestand und seiner Gesundheit. Das ist übrigens auch ein wesentlicher Grund, weshalb die Parole Wald-vor-Wild unsinnig ist. Wald und Wild gehören im Sinne von Ökologie – Lehre vom Haushalt in der Natur  untrennbar zusammen. Hegegemeinschaften müssen sich also mit gleicher Intensität um den Lebensraum des Wildes kümmern. Da geht es unter anderem um Äsungsflächen, die das Wild ohne Bejagung und anderweitige Störungen nutzen kann, und da geht es um Besucherlenkung im Wildlebensraum.

Gehegtes Niederwild

Wenn es in einer Hegegemeinschaft um Niederwild geht, muss ganz besonderes Augenmerk auf den Wildlebensraum gerichtet sein. Der ungeheure Verlust an Niederwildarten und/oder an der jeweiligen Häufigkeit hat in aller Regel mehr mit dem Lebensraumverlust zu tun als mit fehlerhafter Bejagung. Hier hat die Hegegemeinschaft die Aufgabe, sich zusammen mit Landnutzern sowie Naturschutzbehörden und organisationen für möglichst umfassende Renaturierung einzusetzen. Dass dies im Zeichen der weiter fortschreitenden Industria-lisierung der Landwirtschaft keine leichte Aufgabe ist, muss allen Beteiligten klar sein, darf aber nicht zum Nachlassen der Bemühungen führen. Wenn sich hierbei Erfolge einstellen, kann eine Hegegemeinschaft sich damit auch bei der nichtjagenden Bevölkerung profilieren und um Akzeptanz für die Jagd in der Kulturlandschaft werben.

Lokale Gegebenheiten

Durch entsprechende Öffentlichkeitsarbeit muss die Hegegemeinschaft ihre Aufgaben und Ziele kommunizieren und damit ihr Tun dem nichtjagenden Teil der Gesellschaft und dem nichtjagenden Naturschutz verdeutlichen. Eine Hegeschau, die diese Bezeichnung verdient, kann in diesem Sinne ein äußerst wirksames Werbemittel für die Jagd in unserer Kulturlandschaft sein. Die letzte Konkretisierung der Aufgaben einer Hegegemeinschaft muss sich vor allem an lokalen Gegebenheiten orientieren und kann hier nicht in allen Facetten dargestellt werden. Trotz des Geschreis der Wald-vor-Wild-Fraktion und von sogenannten Ökojägern, die einen Einfluss der Tiere auf den Klimawandel unterstellen, kann es keinerlei Zweifel an der Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit von Hegegemeinschaften in unserem Land geben.