Wild im Stress?

Stress gehört zum Leben, das ist keine Frage – aber ist auch unser Wild im Stress? Und wenn mit welchen Auswirkungen? Dr. Nina Krüger hat es herausgefunden.

Wild im Stress Reh Rehbock Straße Wildunfall

©Winsmann-Steins

Stress gehört zum Leben, das ist keine Frage – aber ist auch unser Wild im Stress?

Wie hochbelastend einzelne Situationen sind, haben schwedische Forscher untersucht. Warum dabei Wildunfälle als schlimmer empfunden werden als Drückjagden, erklärt Biologin Dr. Nina Krüger.

Wild im Stress?

Definieren wir Stress im eigentlichen Sinne und nicht als etwas, das wir im modernen Dasein als Hintergrundrauschen erleben und als Ausrede nutzen, warum wir dieses oder jenes nicht können, dann müssen wir ihn als jene Ereignisse werten, die den Organismus in Erregung versetzen. Sie sind unvorhersehbar und unkontrollierbar und damit potentiell lebensbedrohlich.

In solchen Situationen, die beim Wild von plötzlich auftretenden Verletzungen hin zu längerer Beunruhigung durch Wölfe, Hunde oder Menschen reichen können, wird das Stresshormon Kortisol ausgeschüttet. Die Menge dieses Stressindikators im Blut macht die tatsächliche Belastung des Individuums durch unterschiedliche Vorkommnisse mess- und vergleichbar.

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Für den Tierschutz

Da der Tierschutz nicht nur von jeher für eine waidgerechte Jagd steht, sondern immer mehr gesellschaftliche Bedeutung gewinnt, ist es wichtig, auf wissenschaftlichem Fundament diskutieren zu können und nicht auf emotionale Herangehensweisen angewiesen zu sein. Dafür hat ein Team schwedischer Forscher (Gentsch et al. 2018) 14 Jahre lang Blutproben von erlegtem und verendetem Schalenwild auf ihre Kortisolkonzentration untersucht.

Dabei wurde sowohl zwischen den Wildarten unterschieden als auch zwischen Jagdarten – Pirsch, Drückjagd, Jagd mit Hunden – und anderen traumatischen Situationen, wie Nachsuchen, Wildunfälle und Verheddern in Zäunen. Zudem wurde der Zeitraum zwischen Beginn der Stresssituation und dem Verenden berücksichtigt. 

Kampf oder Flucht?

Die Kortisolausschüttung bewirkt im Körper verschiedene Dinge. Zum einen lässt sie den Blutzuckerspiegel steigen. Dafür werden Glykogen-Reserven in der Leber mobilisiert, um in Kampf- oder Fluchtsituationen schnell ausreichend Energie verfügbar zu machen, gleichzeitig hemmt es die Insulinproduktion. Zum anderen verengt das Hormon die Gefäße und erhöht die Herzschlagfrequenz. Dadurch steigt der Blutdruck, und die Muskulatur wird stärker durchblutet. 

Chronischer Stress ist durch eine ständig erhöhte Kortisolausschüttung gekennzeichnet. Er entsteht bei Krankheiten oder bei dauerhafter Beunruhigung ohne Ausweichmöglichkeiten. Bei Menschen begünstigt er typische Zivilisationserkrankungen wie Übergewicht, Diabetes, Bluthochdruck und Gefäßerkrankungen.

Akute Stresssituationen hingegen führen zu einem raschen Anstieg und Wiederabfall der Kortisolwerte im Blut. In solchen Situationen wird Kortisol wenige Minuten nach Einsetzen des stressauslösenden Ereignisses in erhöhter Konzentration messbar, erreicht nach 15 bis 30 Minuten einen Höchstwert und normalisiert sich durch einen negativen Rückkopplungseffekt nach etwa 60 bis 90 Minuten. 

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©Burkhard Winsmann-Steins

Stress und Angst

Den ersten Unterschied, den die Wissenschaftler beobachteten, war der zwischen den Wildarten. Während sich die Kortisollevel von Rot-, Dam- und Elchwild nicht erkennbar auseinanderhalten ließen, war ein deutlicher Unterschied zu Reh- und Schwarzwild messbar. Als Vergleichswerte dienten dabei Blut-Kortisolkonzentrationen von Stücken, die ohne vorherige Beunruhigung erlegt wurden und innerhalb von maximal fünf Minuten nach Antragen des ersten Schusses verendet waren.

Bei allen untersuchten Stücken war festzustellen, dass sich die Werte von jenen stark unterschieden, die vorher beunruhigt, angefahren und nachgesucht werden mussten. Besonders deutlich war dies bei Rotwild messbar. Auch frühere Untersuchungen anderer Forschergruppen deuteten bereits in diese Richtung.

In einer kanadischen Studie wurde zudem eine auf Bejagung erlernte Verhaltensänderung mit den besonderen Sozialstrukturen erklärt, in der Rotwild lebt. Sie ermöglichen den Individuen, das Ableben von Rudelmitgliedern zu beobachten, ohne selbst direkt zu Schaden zu kommen, und daraus zu lernen. Zusammen erklärt sich damit die heftige Reaktion von Rotwild auf menschliche Störung.

Hat Rotwild den Jäger aber vor Schussabgabe nicht mit, so zeigt es auf nicht sofort tödlichen Schussverletzungen einen geringeren Kortisolanstieg als nach Wildunfällen oder anderen Situationen, die eine Erlegung notwendig machten, wie Krankheit, Verletzung, Verheddern in Zäunen. Für Rehwild stellten nicht sofort tödliche Wildunfälle den größten gemessenen Stressfaktor dar. Schwarzwild hingegen zeigte keine nach Situationen differenzierte Kortisolausschüttungen. Ihre Reaktion lag gleichbleibend über der des wiederkäuenden Schalenwildes. 

Hochwildtaugliche Kaliber

©Pauline von Hardenberg

Wild im Stress? Sauen besonders!

Dies ist deshalb erstaunlich, da angenommen werden muss, dass Sauen von allen heimischen Schalenwildarten zu den höchsten verstandesmäßigen Leistungen in der Lage sind. Sie können mit etwas Übung nicht nur sich selbst im Spiegel erkennen, sondern auch Menschen oder Hunde auseinanderhalten. Eine differenziertere Stressantwort wäre daher zu erwarten gewesen. Obwohl die untersuchten Stresssituationen bei Schwarzwild immer vergleichbare Reaktionen auslösten, ist festzustellen, dass es mit der höchsten gemessenen Kortisolausschüttung reagierte.

Stressantworten und die davon ausgelösten körperlichen Reaktionen sind evolutionär so konzipiert, dass sie die Überlebenswahrscheinlichkeit in einer Extremsituation erhöhen. Vielleicht ist der große Erfolg des Schwarzwildes deshalb in seiner guten Stressantwort begründet.

Unterschied zwischen Sauen und Hirschartigen

Mit dem Ergebnis wird jedenfalls deutlich, dass zwischen Sauen und Hirschartigen erhebliche physiologische Unterschiede bestehen. Auch beim Schwarzwild stieg die Hormonkonzentration allerdings mit Schwere und Länge des Traumas an, bis sie einen Maximalwert erreichte und dann bis zum Verenden gleichmäßig hoch blieb. Während es für Rot- und Rehwild auch noch eine Rolle spielte, ob sie vor Eintritt eines Traumas nur durch Menschen oder auch durch Hunde beunruhigt worden waren, war dies für Sauen unerheblich.

Kamen mehrere Faktoren zusammen, wie Beunruhigung vor und nach dem Schuss, schlechter Treffersitz und ein großer Zeitraum bis zur Erlegung, wirkte dies jedoch bei allen Arten stressverstärkend. 

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©Silvio Heidler