Jäger in technischer Zivilisation (Teil 1)

Warum haben wir Jäger heute einen derart schweren Stand? Wie lässt
sich Jagd begründen? Wer verlangt nach Begründung? Dies und mehr beantwortet
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Paul Müller (+) im ersten Teil. Im zweiten Teil
erläutert er, wie die Jagd zu retten ist.

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Alter Mensch in neuer Umwelt

Unsere emotionale Ausstattung, unsere elementaren zwischenmenschlichen Verhaltensweisen, Liebe, Hass, Rangstreben, territoriale Aggression und vieles andere entwickelten sich in jener langen Zeit, in der unsere Ahnen auf altsteinzeitlicher Entwicklungsstufe in Kleinverbänden vom Jagen und Sammeln lebten. Wir haben uns in der uns angeborenen Aktions- und Reaktionsausstattung in den letzten 10.000 Jahren biologisch nicht geändert, wohl aber entwickelten wir mit der technischen Zivilisation, der großstädtischen Umwelt und der anonymen Großgesellschaft eine neue kulturelle Umwelt, für die wir biologisch nicht geschaffen wurden. Wir passen uns einigermaßen an die neue Situation an, aber wir haben Schwierigkeiten, denn nicht alle unsere Programme passen in die moderne Welt, in der Präsidenten mit steinzeitlicher Emotionalität Supermächte leiten. Bescheidenheit ist angesagt und kritische Skepsis gegenüber allen Wahrheitsverkündern.Wir Jäger haben uns daran gewöhnt, dass wir heute gegen Naturduselei, Gutmenschen, naturwissenschaftliches Analphabetentum, manchmal nur Gehässigkeiten ankämpfen müssen, oftmals auch in unseren eigenen Reihen, häufig genug auch gegen die hämische Kaste in den Medien, die aus geistiger Bequemlichkeit eine differenzierende Betrachtung geflissentlich ausblendet und lieber mit altbewährten Schablonen arbeitet. Wir sollten uns nicht damit abfinden, sollten den Glücksversprechern nicht auf den Leim gehen und unseren Kritikern die Stirn bieten.

Der Jäger sucht den Kick

Wir geben offen zu, dass wir glücklich sind, wenn wir jagen können. Als Jäger wissen wir aber auch, dass Glück nicht nur sachlich ist, nicht nur Lebensgefühl, sondern auch der Gewinn aus wacher Haltung und geistiger Aufmerksamkeit, einer spannungsreichen Verbindung von sinnvoller Tätigkeit mit existenzieller und intellektueller Kompetenz. Wir haben auch aus der Geschichte der Jagdkulturen gelernt, dass das einzige Mittel gegen Fehler Bildung ist. Aber gerade sie liegt heute im Wundbett, geschlagen auch von dem Dauerblödsinn, der im Kampf um Einschaltquoten täglich auf uns herunterprasselt.Nur wer seine Geschichte kennt, vermag die unterschiedlichen Probleme der Gegenwart richtig zu gewichten und jene Faktoren und Fähigkeiten zu erkennen, die Voraussetzung für Zukunftsfähigkeit auch unter veränderten gesellschaftlichen Randbedingungen sind. Viele von uns gehen aus unterschiedlichen Motiven auf die Jagd, viele kennen und zitieren die unsere Jägerseele beschwichtigende Erkenntnis Ortega y Gassets, wonach wir (nur) töten, um gejagt zu haben. Jagd ist das, was ein Tier ausübt, um sich eines andern, lebendig oder tot, zu bemächtigen, das einer Gattung angehört, die der eigenen unterlegen ist (Ortega y Gasset 1978). Der amerikanische Anthropologe Cartmill (1995) definierte das Jagen als bewusste, direkte, gewaltsame Tötung ungehinderter wilder Tiere,, als bewaffnete Konfrontation zwischen Menschsein und Wildsein, zwischen Kultur und Natur. Noch einen Schritt weiter geht Kühnle (2003), wenn er beim Jäger unterstellt ein durch einen Elementartrieb evoziertes Bedürfnis und dessen Befriedigung durch den emotionalen Kumulus, den Kick im vollendeten Jagdakt. Das wird manch wackerer Waidgerechte nicht gerne hören. Die Heuchler unter uns würden es gerne ungelesen lassen. Aber ich kenne keinen Jäger, der diesen Kick nicht kennt, der nicht vom Jagdfieber gebeutelt wurde.

Der Weg des geringen Widerstands

Es geht folglich um die Ernsthaftigkeit und die Notwendigkeit unseres Tuns, die Qualität unserer Argumente, die Transparenz unserer Handlungen. Darauf sind wir Jäger nicht ausreichend vorbereitet, auch weil unsere jagdpolitischen Eliten glaubten, dass überkommener Status auch bei gesellschaftlichem Wandel wie selbstverständlich erhalten bleiben würde. Jägervereinigungen suchten zu allen Zeiten Zustimmung und Schutz bei der jeweils herrschenden politischen Kaste, wählten ordentliche Sozialdemokraten, wie den preußischen Ministerpräsidenten Braun, schwülstige Hubertusreden haltende Reichsjägermeister, SED-Partei-Genossen oder CDU- oder CSU-Minister zu ihren Anführern. Das ersparte ihnen natürlich Argumentationskraft, solange die Funktionäre an der Macht waren. Aber die Zeiten haben sich geändert. Heute können wir uns auf keine Partei mehr verlassen. Wir müssen zu eigener Kraft und Stärke zurückfinden.Weltweit gehen Menschen selbst in dichtbesiedelten Industrieländern auf die Jagd; Jagd als Lebensform ist universal. Ihre Zukunftsfähigkeit ist jedoch nicht durch verstärkte Marketingstrategien zu sichern, nicht durch erhöhte Medienpräsenz, schon gar nicht durch die von Geschäftemachern zu modernen Jagdevents mit garantierten Abschüssen und Wellnessbereich degenerierten Gesellschaftsjagden, auf denen das Wild zur Hure gemacht wird. Zukunftsfähigkeit der Jagd setzt zu allererst umfassend gebildete Jäger voraus, deren gesellschaftliche Akzeptanz aus ihrem Wissen, ihrer handwerklichen Professionalität, ihrer Nachdenklichkeit und ihrem Charakter resultiert.Die Normen der Jäger sind heute einer schleichenden Erosion ausgesetzt, und Jagdkultur droht zur Erinnerungskultur zu erstarren. Unsere Erinnerungen sind aber alles andere als zuverlässig. Sie sind kein exakter Spiegel eines vormaligen Geschehens, sondern gebrochen durch die Beschränkung unserer Perspektive, unserer Wahrnehmung, unserer Bedürfnisse und Emotionen. Damit nicht genug: Sie verändern sich auch im Laufe der Zeit durch immer neue Rekonstruktionen, die die Erinnerungen an das Selbstbild in der jeweiligen Gegenwart anpassen (A. Assmann 1999).

Das Töten muss vernünftig sein

Wir Jäger lieben, was wir töten. Wir empfinden Reue am gestreckten Tier, bitten um Verzeihung, senden dem getöteten Tier in kulturspezifisch festgelegten Riten, manchmal nur in stiller Andacht, Signale der Verehrung und Achtung nach. Kein anderes Raubtier empfindet Reue nach erfolgreicher Jagd, kein Schimpanse oder Bonobo, übrigens auch kein kulturloser, letztlich das Wildtier verachtender Schießer. Genau hier am gestreckten Tier wird der Charakter des Jägers sichtbar, was bereits der Reformator Luther erkannte. Hier liegt das zutiefst Menschliche; wir wissen um mögliche Schuld und können sie nur lindern durch eine begründete Notwendigkeit unseres Tuns, aber nicht durch unsere Lust und Passion, die ja altem Primatenerbe entspricht und emotionaler Motor unseres Handelns ist. Leidenschaft und Vernunft liegen bei uns im Dauerkampf, und ein kontrollierter Verstand ist deshalb zwingende Voraussetzung für einen Jäger. Wildtiere zu töten, muss einen vernünftigen Grund haben. Töten von Wild muss tierschutzgerecht erfolgen. Nur das versteht die nichtjagende Gesellschaft und auch ich.

Wissenschaft und Jagd versöhnen mich mit der Endlichkeit meiner Person. So unterschiedlich auch die Jagd nach Erkenntnis und jene auf Wildtiere sein mag, so hatte ich dennoch das Privileg, dass ich die Notwendigkeit und Freude an der einen mit der anderen häufig zur untrennbaren Einheit verschmelzen lassen konnte. Getrieben hat mich aber meistens nur Wissbegier, Freude und Leidenschaft, manchmal allerdings auch die Pflicht zu handeln, auch gegen mein Mitgefühl oder gar Mitleid für das gejagte Tier. Das galt im übrigen auch dann, wenn ich einen meiner geliebten Hunde in die ewigen Jagdgründe befördern musste, weil sie altersbedingt nur noch schmerzgekrümmt dahinvegetierten. Ich wollte und musste ihnen den Gang zum Tierarzt ersparen.

Achtung und Liebe zum Wild

Passion reicht nicht aus, um das, was wir lieben, die Jagd, auch gegenüber anderen, Unbeteiligten zu begründen. Es ist aber nicht allein die Gesellschaft, die diese Begründung von uns verlangt, sondern unser eigenes Selbstverständnis, unser Jägerethos. Kein anderes Raubtier empfindet Mitgefühl für sein Beutetier, kein Löwe und auch kein Fuchs. Es ist die Achtung und die Liebe zu den Wildtieren.Wir brauchen gebildete Jäger, keine Gemütskrüppel, keine Schießer. Wir wissen, dass Jagd unbeirrbare Entschlossenheit, ja in vielen Fällen fast gnadenlose Anspannung und Anforderung voraussetzt, etwas, was Nichtjäger nicht verstehen können. Wir wissen, dass richtige Jagd die tierschutzgerechteste Form des Fleischerwerbs sein und bleiben muss. Im Zweifelsfalle sind wir immer die Advokaten unserer Wildtiere und ihrer Lebensräume. Tier- und Naturschutz sind die artverwandten Verbündeten der Jäger. Dort, wo das Schießen auf lebende Ziele der einzige Zweck der Jagd wird, sollte sie rückstandslos ausgemerzt werden.

Die Jagdkultur muss Streitkultur sein

Die Geschichte der Menschheit belegt, dass das Erbeuten von Fleisch naturgemäß erhebliche Vorteile für Familien und Gesellschaften brachte und regional durchaus überlebensnotwendig war. Notwendig für den Fortbestand von sieben Milliarden Menschen ist die Jagd heute nicht mehr; existenziell wichtig aber für diejenigen, die gebildete Jäger sind; denn Jagen im umfassendsten Sinne ist vermutlich die artgerechteste und damit neurosenverhindernde Lebensform des Menschen. Nein, die Existenz unserer Welttechnologie-Zivilisation hängt nicht von den Jägern ab, aber sicherlich von ihrer Art, mit ihrer Natur fertig zu werden und ihrer Einstellung zur lebendigen, einmaligen Natur auf unserem Planeten. Eine lebendige Jagdkultur muss deshalb Streitkultur sein, oder, wo sie es noch nicht ist, werden für Wildtiere und Natur.

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Paul Müller (+)

Heft 9/2013, S.38