Auf Elchwild in Estland

Man hört es immer wieder: In Europa ist Estland die Nummer eins unter den Elchländern. Gert G. v. Harling kann das bestätigen, denn er hat dort auf den größten Hirschartigen gewaidwerkt. 

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Auf Elchwild ist gut und erfolgreich in Estland zu waidwerken. (Foto: Pixabay)

Auf Elchwild: Tallinn ist der estnische Name der Stadt Reval, Haupt- und Hafenstadt am Finnischen Meerbusen. Nach Ankunft auf dem Flughafen fahren wir 200 Kilometer gen Süden, Richtung Tartu, dem früheren Dorpat – vorbei an verfallenen Gebäuden, Ruinen und Zeugen einer vergangenen, einer besseren Zeit. Die urtümliche Landschaft erinnert an Skandinavien. Nur die vielen, jetzt verwaisten Storchennester zeigen an, dass wir im Osten Europas sind. Die Ebereschen hängen voller Beeren, die Zweige biegen sich unter der Last schwer nach unten, und Wacholderdrosseln stärken sich an den dunkelroten Früchten für den Flug in den Süden. Die Bucheckern und Eicheln sind längst gefallen, die meisten Blätter ihnen gefolgt. Lediglich die Weidenbüsche sind nicht verfärbt, kleiden sich noch schlicht grün, und an den Birken hat sich goldgelbes Laub gehalten. Die Lärchen glühen in üppigen braungoldenen Farbtönen, der leuchtend rote Ahorn dazwischen bildet das Leitmotiv in dieser Herbstsymphonie und gibt der Landschaft einen Hauch von Indian Summer.

Morgens um 6 Uhr geht es los auf Elchwild

Der erste Morgen ist einfach nur schön. Gegen sechs Uhr stolpere ich hinter Adi, einem einheimischen Landwirt und Mit-
glied der hiesigen Jagdgesellschaft, her. Auf unserem Marsch durch Sumpf und Gestrüpp passieren wir von Sturm oder Feuer geschaffene Freiflächen, bestanden mit Espen und Weiden, ziehen an einem sumpfigen Schilfgürtel entlang, der mit einzelnen Erlen und Birken bestockt ist und stiefeln durch unermesslich weite Wälder, in denen nicht der Mensch, sondern noch die Natur regiert. Wilder, natürlicher, gewaltiger als im dicht besiedelten Westeuropa, der Mensch hat der Natur noch nicht den Stempel der Zivilisation aufgedrückt. Immer wieder sinken die Stiefel in den morastigen Boden, der sich unter dem Moos und der Heide verbirgt und das Laufen recht mühsam macht. Jeden Augenblick rechne ich damit, dass eine Schnepfe aufsteht und tatsächlich machen wir drei der Vögel mit dem langen Gesicht hoch.

Weitere Möglichkeit: Niederwild

Die Jagd mit dem vorstehenden oder unter der Flinte jagenden Hund wird in diesem Teil des Ostseeraums kaum noch ausgeübt, obwohl es Waldschnepfen, Bekassinen, Wachteln, Reb- und Raufußhühner in Hülle und Fülle gibt.
Die Zeit der Not unter der geknechteten Bevölkerung hat in den vergangenen Jahrzehnten viele Traditionen vergessen lassen, die heutigen Jäger Estlands sind Fleischjäger. Vor dem Ersten Weltkrieg war sowohl im Baltikum als auch in Nord- und Mittelrussland die Suchjagd mit Vorstehhunden auf Flugwild üblich und so abwechslungsreich wie wohl kaum irgendwo anders in europäischen Wildbahnen, erzählte mir ein Onkel, der früher hier ein großes Gut besaß.

Der Ansitz am Morgen

Schließlich lässt Adi mich inmitten riesiger Bruchwälder an einem Rapsfeld bei einer Kanzel zurück. Zwischen Wolkenballen hervor funkelt ein einsamer Stern mit mildem Licht und lenkt den Blick aufwärts, alle lauten Gedanken schlafen ein, und nachdem die Büchse entsichert in der Ecke steht, die Kanzelluken geöffnet sind, ergreift mich trotz der Enge des Hochsitzraums Spannung und Erwartung. Als das Licht allmählich die Dunkelheit verdrängt, erscheint in einer Gangart zwischen Schnüren, Hoppeln und Rollen ein dunkles „Etwas“ am Rand des Feldes. Ich beobachte den Maderhund. Ich erfreue mich dann zwei Stunden lang an der Stille in der urwüchsigen Natur zu sein. Der Raps steht über oberschenkelhoch.

Überraschung auf dem Rückweg

Als die Sonne hoch steht, holt mich Adi wieder ab. Im Rapsfeld finden wir frische Elchfährten. Ich beschließe mich am Abend erneut dort hinzusetzen. Adi hat es eilig. Achtlos für meine Umgebung stolpere ich hinter ihm her. Unerwartet geraten wir auf knapp fünfzig Gänge an ein Stück Elchwild mit Kalb. Die hellen Läufe des Wildes scheinen auf seltsame Art mit den weißen Birkenstämmen zu verschmelzen. Die beiden Stücke verhoffen nur kurz und zu lange dauert meine Schrecksekunde.

Der Ansitz am Abend

Bereits am Nachmittag ziehe ich mit Adi erneut in den Wald zu „meiner“ Kanzel. Gegen 19 Uhr erhasche ich am gegenüberliegenden Waldrand eine Bewegung. der Blick durchs Fernglas bestätigt: Dort verhofft ein Stück Elchwild und sichert starr zu mir herüber. Nur der Vorschlag ist zu erkennen. Der größte Teil des riesigen Gestrüpps ist von grünen Erlengebüsch und hohem Gras verdeckt. Bewegungslos wie ein Denkmal verhofft der Elch. Anschließend ist er wie vom Erdboden verschluckt. Minutlenlang suche ich mit meinem Blick durch das Glas nach einem Verbleib. Langsam steigt Dunst über dem Feld auf.

Das Zustehen des Elches

ls ich noch über den Verbleib grüble, taucht ein gewaltiger grauer Wildkörper am Rande des Feldes auf. Nur die spielenden Lauscher zeugen davon, dass Leben in der Wildstatue steckt. Dann kommt wieder Leben in den Hirsch und er zieht am Waldrand entlang, breit wie eine Schießscheibe. Ein sicherer Schuss ist aufgrund des Bewuchses dennoch nicht möglich. Ich habe längst das Fernglas mit der Büchse getauscht. Plötzlich schwenkt er rum und zieht auf meine Kanzel zu. Er verhofft erneut auf 60 Schritten und äugt zu mir her. Als er erneut breit steht, drücke ich ab.

Nach dem Schuss

Im Schuss knickt der Elch mit dem rechten Vorderlauf ein. Er springt ab und bevor er den Busch erreicht, schieße ich nochmal. Der zweite Schuss bricht Mitte Blatt. Der Gabler streckt seinen Träger steil nach oben. Anschließend knicken seine Beine ein und er liegt. Ein letztes Schlegeln, bevor der Riese verendet. Noch lange sitze ich neben meiner beute und genieße den Moment.

Jagd auf Elchwild am Wildacker

Der Bestand des Elchwildes in Estland ist höher als in Schweden oder Norwegen. Man kann nirgends in Europa so erfolgreich auf Elche (vornehmlich Stangenelche, aber auch Schaufler) jagen wie in Estland. Die Geweihgewichte liegen zwischen fünf und acht, bei starken Schauflern auch bis zehn Kilogramm. Die erfolgreichsten Jagden werden zur Brunft (Ende September bis Anfang Oktober) veranstaltet. Spannend ist es, wenn der suchende Elch mit dem Ruf zum Zustehen gebracht wird. Ist der Wildacker mit Raps bestellt, ist dieser ein Magnet für Elchwild. Hier anzusitzen, verspricht den größten Erfolg.
Auch auf Tier und Kalb ist diese Art der Jagd auf Elchwild sehr erfolgreich. Die hellen Läufe ähneln sehr den weißen Birkenstämmen. Insbesondere, wenn die Elche im Bestand stehen, macht es die Bejagung schwierig.

Auch die Jagd auf weiteres Wild lohnt

Rehwild ist in Estland weit verbreitet. Die Bockjagd beginnt am 1. Juni und dauert bis Ende September. Als beste Jagdzeit gilt die Blattzeit Ende Juli. Während des Vollmondes kann die Bockjagd mit dem Ansitz auf Keiler kombiniert werden.
Aber auch das Schwarzwild ist in estnischen Revieren weit verbreitet und die Bestände steigen stetig an. Sehr Erfolg versprechend ist der Ansitz an der Kirrung während der Mondphase. Wegen ihrer langen Jagdzeit können Sauen in der Regel auf allen anderen Jagden mitbejagt werden. Jedes Jahr kommen Keiler mit Waffen bis zu 22 Zentimeter zur Strecke. Rotwild kommt auf dem Festland nur als Wechselwild entlang der Grenze zu Lettland und auf den vorgelagerten Inseln in der Ostsee vor. Die Hirsche erreichen ein Geweihgewicht bis sieben Kilo. Die Jagd auf Braunbären ist in den baltischen Ländern nur in Estland legal. Als erfolgreichste Jagdmethode gilt die Jagd am Haferfeld im August. Nicht selten werden Petze über 200 Kilo erlegt. Wer einmal richtige Räuber wie Luchs  und Wolf bejagen möchte, ist im nord-östlichen Land ebenso richtig. Estland ist das einzige Land der EU, in dem noch Luchse bejagt werden dürfen. Sehr reizvoll können kombinierte Jagden auf Wölfe, Luchse und Sauen in den Monaten Januar und Februar sein.

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