Der Wald stirbt und das Reh ist dran schuld! Ein Narrativ, das gewisse politische Strömungen und ihre ideologischen Steigbügelhalter seit dem Beginn der massiven Kalamitäten in den Wäldern zu zeichnen versuchen. Und wie es scheint, mit Erfolg. Die Autoren von Jagdgesetzentwürfen in Rheinland-Pfalz, Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern wittern politische Salonfähigkeit von Ausrottungsideologien. Es formieren sich Firmen, die aus dem Wildleerschießen von Gemeindewäldern ein Geschäftsmodell machen – und damit auch noch wirtschaftlich erfolgreich sind.
Können wir den Wald durch verkürzte Schonzeiten retten?
Die Verkürzung der Schonzeit für wiederkäuende Schalenwildarten auf gerade einmal zwei Monate ist eher zur Regel als zur Ausnahme geworden. Und selbst die Jagdverbände ziehen mit. Der DJV veröffentlicht Broschüren, in denen die Apriljagd aktiv befürwortet wird, gegen Schonzeitenverkürzungen gibt es aus den Landesjagdverbänden kaum noch Widerstände. Man fragt sich zunehmend, ob auf der „großen politischen Bühne“ eigentlich keiner mehr den sprichwörtlichen Knall gehört hat.
Wald vor Wild? Die Diskussion führt in die Irre
Dabei ist diese ganze Wald-vor-Wild-Diskussion in sich absurd. Der Begriff „Wald“ beschreibt eine Lebensgemeinschaft aus Pflanzen, Tieren und allen anderen Lebensformen, die darin vorkommen. Wie sollte also eine dieser Lebensformen das gesamte Ökosystem – und damit auch sich selbst – „auffressen“? Es geht nicht um den Wald, sondern um Bretterzuchtplantagen. Und die Herrscher über diese Plantagen haben es verstanden, die politischen Strömungen für sich zu nutzen und die Deutungshoheit über die Gestaltung des Klimawaldes zu erlangen. Begriffe wie „naturnahe“ oder „ökologische Waldbewirtschaftung“ erscheinen in diesem Kontext zwar absurd, sind aber geschickt in die Köpfe der Menschen zementiert worden. Unseren politischen Vertretern ein Totalversagen zu attestieren, würde womöglich zu weit führen. Festhalten muss man allerdings, dass andere in den letzten Jahren wesentlich erfolgreicher und öffentlichkeitswirksamer agiert haben. Man kann nur hoffen, dass diese Erkenntnis sich früher oder später durchsetzt und die Stimme für Wildtiere im politischen Diskurs wieder deutlicher wahrnehmbar wird.
Solche Debatten finden auf landes- oder bundespolitischer Ebene statt. Wenige Revierpächter haben die zeitliche Flexibilität und den persönlichen Antrieb, in den Verbandsgremien mitzumischen. Sie müssen sich mit den Gegebenheiten abfinden, können aber in ihren Revieren nach wie vor selbst beeinflussen, wie mit dem Wild umgegangen wird. Nicht wenige von ihnen zeigen den „Big Playern“, wie ein Wald mit Wild funktionieren kann, auch wenn ihre Erfolge zu oft kaum Beachtung finden. Ihr Stand wird zugegebenermaßen schwerer, je wildfeindlicher die gesamtgesellschaftliche Stimmung ist, jedoch gibt es viele Beispiele, die durch geschickte Kommunikation und fachlich versiertes Handeln eine Akzeptanz und ein Bewusstsein für das Wild und seinen Lebensraum im Mikrokosmos Jagdbezirk schaffen.
Waldschäden nehmen zu
Seit 2018 sind nahezu überall in Deutschland Waldschäden entstanden, die kaum vorstellbare Größenausdehnungen angenommen haben. Ganze Mittelgebirge sind vorrangig durch die Borkenkäfermassenvermehrungen entwaldet worden. Selbst dort, wo noch reichlich Fichte steht und lebt, ist davon auszugehen, dass sie im Laufe der nächsten Jahre den Käfern zum Opfer fallen dürfte. Die Jagdreviere werden sich grundlegend verändern und der Gesamtlebensraum Wald wird in einigen Jahren nicht mehr der sein, den wir heute kennen.
Der Jäger ist auch Lebensraumgestalter
Dass in solch einem Umbruch der Jäger nicht nur mit der Büchse gefragt ist, sondern er sich vorrangig mit der Lebensraum(neu)gestaltung beschäftigen muss, ist wohl jedem einleuchtend. Auch die Frage der künftigen Bejagbarkeit von Flächen drängt sich auf, wenn etliche Hektar Waldboden zu Dickungen heranwachsen. Schon im Jahr nach dem Kahlschlag ermöglicht die Schlagflora teilweise keinerlei Bejagung mehr. Der Jäger muss also aktiv werden und in den Kahlflächen gestalten. In der Regel werden die betroffenen Grundstücke in fremdem Eigentum sein. Entsprechend ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, um überhaupt Flächen zur Verfügung zu haben, einen vertrauensvollen und engen Austausch mit den Jagdgenossen und den Waldbauern zu pflegen.
Klare Ideen sind essenziell
Die Probleme des Gegenübers zu verstehen und sich intensiv auf fachlicher Ebene auszutauschen, ist hierbei der Schlüssel zum Erfolg. Für den Jäger ist es in solchen Dialogen wichtig, eine klare Idee von der Bejagung kalamitätengebeutelter Reviere zu verfolgen. Auszuformulieren, was Jagd leisten kann, welche waldbaulichen Maßnahmen der Jäger mit der Büchse unterstützen kann und was auch letztendlich mit dem vorkommenden Wildbestand nicht vereinbar ist, hilft allen Seiten, sich auf die anstehenden Aufgaben einzustellen. Der Gesetzgeber stellt dabei gewisse Mindestanforderungen an die Jagd, die man durchaus als Leitfaden für ein gesundes Miteinander zwischen Wild und Waldbau ansehen kann. Die – bisher noch auf einen Konsens zwischen Jagd und Forstwirtschaft ausgelegten – Landesjagdgesetze und das Bundesjagdgesetz formulieren einen Rahmen, der Waldbau ermöglicht, aber auch das Vorkommen von Wild nicht ausschließt.
Dort ist geregelt, dass „Der Wildschaden, der an […] Forstkulturen, die durch Einbringen anderer als der im Jagdbezirk vorkommenden Hauptholzarten einer erhöhten Gefährdung ausgesetzt sind, […] nicht ersetzt [wird], wenn die Herstellung von üblichen Schutzvorrichtungen unterblieben ist […]“ (BJG § 32 (2)). Damit trägt der Gesetzgeber einer biologischen Eigenart, insbesondere des Rehwildes, Rechnung, das seltene Gehölze viel stärker verbeißt als häufig vorkommende Pflanzen. Dieses Verhalten wird kein Schießer der Welt dem Reh abgewöhnen. Wer in einem Fichten-Buchen-Revier Ahorn, Kirsche, Esche oder Linde ohne Schutzmaßnahmen pflanzt und dann von der Jagd erwartet, den Verbiss der Aufforstung zu vermeiden, fordert damit indirekt den Totalabschuss des wiederkäuenden Schalenwildes.
Wie geht aktive Wildhege?
Den Grundstückseigentümern solche Zusammenhänge zu verdeutlichen, ist der erste Schritt zu aktiver Wildhege. Ein Waldbauer, der versteht, warum seine Linden verbissen sind, wird zwar wahrscheinlich deshalb nicht mehr Lust darauf haben, Geld in Einzelschutz oder Zaunbau zu investieren,
er wird aber ein offenes Ohr für die Lebensraumverbesserung und die Unterstützung der Jagd mitbringen. Dem Waldbauern wird einleuchten, dass ein Reh, das auf einer Wildwiese äst, seine Pflanzen nicht verbeißt. Er wird einen Verbissholzgarten auf seiner Fläche akzeptieren, weil jeder dort verbissene Trieb an seiner Forstkultur unbeäst bleibt, oder er wird eine Bejagungsschneise in seiner Aufforstung dulden, weil er erkennt, dass auch er Wild und Jagd unterstützen muss, um deren Verträglichkeit mit seinen Vorhaben zu erreichen. Wer dieses Verständnis bei den Waldeigentümern schafft, hat nahezu alle Möglichkeiten, aus seinem Jagdrevier in den aktuellen Zeiten der Veränderung einen nachhaltig wertigen und angepassten Wildlebensraum zu machen.
Welche Lebensraumverbesserungen an welchen Stellen des Reviers sinnvoll sind, unterliegt der fachlichen Bewertung und Umsetzung des Jagdpächters. Dabei gilt ein Grundsatz, der beherzigt werden sollte: Keine Erhöhung der Attraktivität von verbissgefährdeten Flächen. Stellt man sich einen zehn Hektar großen Kahlschlag vor, der von potenziellen Wildeinständen umgeben ist, wäre es kontraproduktiv, mitten auf dem Kahlschlag eine Wildäsungsfläche oder Prossholzfläche, womöglich mit Salzlecke und Kirrung, anzulegen. Man würde damit das Wild aktiv dazu bringen, täglich den Kahlschlag zu durchwechseln und auf der Wechselbewegung Äsung an den Verjüngungspflanzen aufzunehmen. In eine solche Verjüngungsfläche gehören Bejagungsschneisen oder Krähenfüße. An die Kante der Fläche oder besser noch in die danebenliegenden Einstände hingegen gehören Wildwiesen, Wildäcker oder Verbissgehölze. Ziel des Planers muss es sein, die Wiederkäuer auf den Äsungsflächen abseits der schadensgefährdeten Flächen zu beschäftigen, während er in den Aufforstungen eine Bejagungsinfrastruktur schafft.
Die Rolle der Äsung
Zur Äsungsverbesserung bietet sich die Anlage von Wiesen, Wildäckern oder begrünten Wegesrändern überall dort an, wo eine Befahrbarkeit mit Maschinen möglich ist. In Steilhanglagen oder auf besonders nassen Standorten kann die Anlage von Prossholzflächen oder Verbissgärten eine gleichwertige Alternative zu Wiesen oder Äckern sein. Die Planungen zur Anlage von Bejagungsschneisen und äsungsverbessernden Maßnahmen sollten so früh wie möglich beginnen. Spätestens wenn der Baumbestand gerodet wurde, wird der Waldbauer seine Aufforstung planen. An diesem Punkt wiederum muss der Jäger sich klar darüber sein, was er will, und mit den Waldbauern in den Dialog eintreten, um machbare Lösungen zu finden. Die Flächen sollten dann zügig mit dem Forstmulcher bearbeitet werden. Nur so lassen sich bewirtschaftbare Äsungsflächen anlegen. Auch um Bejagungsschneisen mittelfristig von Schlagflora freizuhalten, ist ein vorheriges Mulchen ebenfalls unumgänglich. Wer die Anlage von Wildackerflächen anstrebt, wird zudem um ein tiefes Fräsen der Flächen nicht umhinkommen, um später Bodenbearbeitungen durchführen zu können.
Die Frage, ob an einem befahrbaren Standort Wiesen oder Äcker besser geeignet sind, ist schwer pauschal zu beantworten. Sie hängt stark von den vorkommenden Wildarten und der Revierstruktur ab. Wiesen bieten insgesamt den Vorteil, dass sie ganzjährig Äsung liefern und nicht in der Zeit der Ackerbestellung „schwarz“ sind. Die Anlage eines Ackers ist also eher als Ergänzung zu vorhandenen Wildwiesen zu sehen. Der Wildacker kann im Gegensatz zur Wiese aber gezielt mit hochattraktiven Äsungspflanzen bestellt werden, die dann eine deutlich größere Lockwirkung aufs Wild erzeugen und somit effektiver als die Wiese von der Waldvegetation ablenken.
Die Verteilung macht’s
Insbesondere in Rehwildrevieren spielt die Größe der Einzelfläche eine untergeordnete Rolle. Eine Vielzahl kleiner Flächen in einer regelmäßigen Verteilung über die gesamte Revierfläche hat wesentlich bessere Wirkungen als eine zentrale große Wiese. In Hochwildrevieren hingegen kann es zielführend sein, in unmittelbarer Einstandsnähe eine größere Äsungsfläche anzulegen. Bei normalen Wildbeständen sollte in Hochwildrevieren eine Flächengröße bis zu einem halben Hektar angestrebt werden. In Rehwildrevieren können einige hundert Quadratmeter Flächengröße bereits eine positive Wirkung haben. Gerade in Rehwildrevieren oder dort, wo keine größeren Flächen zu haben sind, bietet es sich an, neben der Neuanlage von Äsungsflächen auf Waldflächen auch die Nutzung geplanter Rückegassen, ungenutzter Rückwege oder von Wegerändern mit ins Auge zu fassen.

Vor allem erkennbar ist die hohe Äsungsflächendichte in den Wildeinständen, die natürlich effektiv von den Kalamitätsflächen in den Fichtenhängen ablenken.
Schon bei der Anlage der Äsungsflächen und Bejagungsschneisen sollte die weitere Entwicklung der umliegenden Waldbestände nicht aus den Augen verloren und von vornherein mitberücksichtigt werden. Die Neubestockung von Kahlschlägen kann schon nach fünf, spätestens aber nach zehn Jahren dem Äser entwachsen sein. Die ursprünglich als Bejagungsschneisen angelegten Flächen können dann optimal als Äsungsflächen genutzt und umfunktioniert werden. Einige Kleegrasstreifen in einer sich schließenden Dickung werden für jede Wildart ein absoluter Zugewinn an Lebensraumqualität sein. Bei vorkommenden Hochwildarten beugen solche Äsungsflächen mitten in Einständen zudem effektiv dem Schälen der jungen Bäume vor. Ein Verzicht auf die Bejagung an den Äsungsflächen sollte dabei grundsätzlich selbstverständlich sein.
Wild passt sich an den Wald und seine Umstände an
Wild – auch Rehwild – passt seine Verhaltensweisen schnell an die Bejagung an. Das Lenken des Wildes durch den Kontrast zwischen absoluter Jagdruhe und scharfer Bejagung ist in der Planung von Hegemaßnahmen ein essenzieller Bestandteil. Selbst wenn Jagdstrecken dadurch örtlich etwas rückläufig sind (sie sollten natürlich nicht komplett einbrechen), ist die Wildlenkung einer der wichtigsten Bestandteile eines Gesamtkonzeptes und sollte konsequent umgesetzt werden. Niemandem ist damit geholfen, wenn aufwändige Lebensraumverbesserungen umgesetzt und von den Waldbauern befürwortet werden und der Jäger selber deren Wirkung außer Kraft setzt. Die Rufe nach Abschüssen und Wildbestandsreduktionen sind dann vorprogrammiert und schaden vor allem dem Wild.