Vollschonung von Hauskatzen?

Marius Tünte (Deutscher Tierschutzbund) und Dr. Daniel Hoffmann (GameConservancyDeutschland) in der Pro-Contra-Diskussion.

Wildernde Hauskatze (Symbolbild) ©Fotolia

Wildernde Hauskatze (Symbolbild) ©Fotolia

JÄGER-Diskussion

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Als erstes Bundesland hat es Nordrhein-Westfalen im neuen Landesjagdgesetz verboten, wildernde Katzen zu töten. Macht diese Vollschonung Sinn?

Marius Tünte (Deutscher Tierschutzbund)

Marius Tünte (Deutscher Tierschutzbund)

Katzen sind für Teile der Jägerschaft regelrecht „Freiwild“, ihr Abschuss wird durch die jeweiligen Landesjagdgesetze bereits ohne konkrete Gefährdung des Wildes ermöglicht. Jährlich kommen so geschätzt weit über 100.000 Katzen bundesweit zu Tode. Zwar erfassen nur wenige Bundesländer entsprechende Zahlen, doch wurden beispielsweise allein in Nordrhein-Westfalen in den letzten zehn Jahren offiziellen Angaben zufolge mehr als 137.000 Katzen getötet. Von Jagdseite wird dies mit der angeblichen Gefährdung von Bodenbrütern und Kleinsäugern gerechtfertigt, auch der Fang von Singvögeln wird dabei in die Waagschale geworfen. Während die Dimension des Singvogel-„Problems“ weitgehend unbekannt ist, da aussagekräftige Zahlen dazu fehlen, wird der negative Einfluss auf Kaninchen, Hasen oder anderes Niederwild völlig überschätzt. Vorgetragene Berechnungen des Deutschen Jagdverbands, nach welchen Katzen während der Brut- und Aufzuchtzeit etwa eine Million Kaninchen und Hasen sowie über sechs Millionen Vögel erbeuten würden, sind aus der Luft gegriffen und wissenschaftlich nicht haltbar. Unabhängig davon ist die Verminderung hoher Populationsdichten freilebender Katzen ein gemeinsames Anliegen von Tier- und Naturschutz, auch wenn deren Motivlage unterschiedlich sein mag. Dies kann jedoch nur über flächendeckende Kastrationsaktionen, welche derzeit fast nur von Tierschutzvereinen aufwendig durchgeführt und finanziert werden, nachhaltig und tierschutzkonform erreicht werden. Die Maßnahmen Fangen, Kastrieren, Chippen, Registrieren und Freilassen können ein effektives Mittel einer Erfolg versprechenden Reduktion sein. Ein solches Vorgehen wird im Übrigen auch durch die kürzlich erfolgte Novelle des Tierschutzgesetzes und die zugehörige Ermächtigung in Paragraf 13b durch den Gesetzgeber unterstützt. Schleswig- Holstein hat bereits ein „Pilotprojekt gegen Katzenelend“ gestartet. Ohne ein klares Abschussverbot werden derartige landesweite Bemühungen jedoch ad absurdum geführt. Auch gesellschaftlich ist die Katzentötung nicht mehr akzeptabel.

Dr. Daniel Hoffmann (GameConservancyDeutschland)

Dr. Daniel Hoffmann (GameConservancyDeutschland)

Deutschland wird zunehmend zu einem Schutzgebiet für verwilderte Haustiere, während effiziente Maßnahmen zum Erhalt oder der Förderung der Biodiversität aus vielerlei Hinsicht konterkariert werden. Haustiere werden allerdings erst zu einem Artenschutzproblem, wenn durch mangelndes Verantwortungsbewusstsein von Tierhaltern ein Haustier verwildert. Bei Haustieren handelt es sich um ursprüngliche Wildtiere, die zum Nutzen oder zum Vergnügen (Heimtiere) von und für Menschen gezüchtet worden sind und sich durch diese Domestikation in vieler Hinsicht von den Wildformen unterscheiden. Das Haustier zeichnet sich also durch seinen ständigen Kontakt zum Menschen aus. Durch aktives Aussetzen oder mangelnde Pflege kann es zu einer Dedomestikation kommen, so dass nach Selektion bestimmte ehemalige Haustiere in freier Wildbahn überleben. Dadurch verlieren sie den Anspruch, als Haustier im eigentlichen Sinne bezeichnet zu werden, und aufgrund ihrer vielfältigen genetischen wie verhaltensbiologischen Abweichungen von den ursprünglichen, oftmals nicht einheimischen Wildformen sind sie als Neozoen oder grundsätzliche Fremdelemente der heimischen Fauna zu bezeichnen. In gesetzlichen Bestimmungen sollte es korrekterweise um die sachgerechte, aus Arten- und Tierschutzgründen dringend angesagte Entfernung von dedomestizierten Individuen aus der freien Landschaft gehen. Eine unsachgemäße Forderung nach freier Ausbreitung der Hauskatze in der Landschaft stellt unter anderem einen Verstoß gegen die Berner Konvention dar. Die Art gefährdet seltene Kleinsäuger und Vögel. Mancherorts dürfte sich dies zum Beispiel mit artenschutzfachlich dramatischen Folgen auf die Restpopulationen des Feldhamsters auswirken. Dabei bleibt es auch kurzfristig wirkungslos, wenn verwilderte Katzen eingefangen, kastriert und wieder ausgesetzt werden, denn Beute werden diese Fremdkörper in den heimischen Ökosystemen dennoch machen. Aus Artenschutzgründen ist demnach eine Forderung nach Vollschutz insbesondere verwilderter Hauskatzen unumstößlich zu verwerfen.