2.000 Kilometer für einen Suppenhirsch

Unbestechlich, objektiv und kritisch – Journalist. Doch wenn es ums Essen geht, wackelt jedes Prinzip. Lucas v. Bothmer machte diese Erfahrung an einem wundersamen Ort.

Journalisten sollen unbestechlich sein, objektiv und kritisch. Doch wenn es ums Essen geht, wackelt jedes Prinzip. Dr. Lucas v. Bothmer machte diese Erfahrung an einem wundersamen Ort.

„Herr Bothmer, es ist mir vollkommen gleichgültig, ob Sie einen Bericht über mein Revier veröffentlichen oder in China platzt ein Reifen“, sagte der Mann und lachte. „Ich hab’ in Ihrer Zeitschrift am Flughafen geblättert, und wen ich kennenlernen möchte, den lade ich eben ein.“ Seltsam. Vor zwei Stunden war dieser elegante Herr in mein Büro geschwebt, und noch immer wusste ich weder wer er war, noch was er von mir wollte. Jedenfalls schien er nicht mit dem Klassiker „Suche Werbung, biete Jagdeinladung“ aufzuwarten.

Höhen und Täler: Deerstalking ist anstrengen- des Jagen, und man muss weit abglasen. ©Lucy Martens

Höhen und Täler: Deerstalking ist anstrengendes Jagen, und man muss weit abglasen. ©Lucy Martens

Herr B. war anders. Er war kein Reiseveranstalter, doch er hatte eine Lodge in Irland. Er besaß ein Rotwildrevier, doch keinen Jagdschein. Er lud mich ein, ohne dass wir einander kannten, doch wollte partout keine Gegenleistung. Außerdem war er entwaffnend sympathisch. Blitzgescheite, blaue Augen. Elegante, unprätentiöse Kleidung. Ein Weltbürger zu Besuch in der Provinz. An seinem Erfolg ließ nur die Tatsache zweifeln, dass er so interessiert schien. Er stellte Fragen. Sollte das Privileg der Wissbegierigkeit also doch nicht uns gemeinen Arbeitnehmern allein vorbehalten sein? Eine der vielen Fragen, die bis zum Schluss unseres Gesprächs ungeklärt blieb, war, ob ich seine Einladung annehmen würde. Würde ich diese sagenumwobene Landschaft sehen, in der vor 15 Jahren ein paar Tiere und Hirsche ausgesetzt worden waren? Würde ich in den grünen Hügeln kauern und die prächtig gediehenen Rotwildrudel bei der Brunft beobachten? Und: Würde er wirklich nichts dafür haben wollen?

Screebe House liegt in Galway, der Hauptstadt der Grafschaft Galway, die zur irischen Provinz Connacht gehört. Galway hat etwa 75.000 Einwohner. ©Lucy Martens

Screebe House liegt in Galway, der Hauptstadt der Grafschaft Galway, die zur irischen Provinz Connacht gehört. Galway hat etwa 75.000 Einwohner.

A SAVAGE BEAUTY

Oscar Wilde, ein ziemlich lebensfroher Zeitgenosse, sagte einmal, Connemara, an der Westküste Irlands, sei eine „grausame Schönheit“. Der Mann hatte offenbar viele Frauen und kannte sich aus. Denn seit Gamekeeper Patrick und ich an diesem Morgen, sechs Monate später, losmarschierten, hat sich das Wetter in der rauen Landschaft bestimmt schon sechs Mal gedreht. Eine steife Ozeanbrise erzählt von Salz, Algen und beklemmender Weite. Jagen am Ende Europas. Westlich von uns nur noch das Wrackder Titanic. Mich schaudert es. Wir sind schon seit zwei Tagen unterwegs, und meine Bilderbrunftträume machen inzwischen einer düsteren Vorahnung Platz: Ich werde hier nichts schießen. Ich werde mit genauso leerer Wildwanne heimkehren wie Horst. Horst hatte ich gestern Abend beim gemeinsamen Dinner kennengelernt. Er ist ein Manager aus der Pharmabranche und offenbar beruflich zu ausgelastet, um auf dem Schießstand zu üben. Den ersten und vermutlich letzten Einserhirsch seines Lebens hatte Horst vor zwei Tagen bei letztem Büchsenlicht auf 25 Gänge vorbeigeorgelt. Nur vier Stunden und acht Flaschen Guiness später hatten die beiden Berufsjäger den Hügel seiner Schanden „Horst-Hill“ umbenannt. Der nahm
es mit jener Mischung aus Verzweiflung und Galgenhumor, ohne die man im kargen Irland nicht alt wird. Doch Horst ist nun wieder daheim am Konferenztisch, sein Hirsch muss hier noch irgendwo schreien und ich spüre den jagdlichen Erfolgsdruck der Weitgereisten.

Konzentration mit knurrendem Magen: In Irland ist jagen noch weitestgehend Fleischbeschaffung. ©Lucy Martens

Konzentration mit knurrendem Magen: In Irland ist jagen noch weitestgehend Fleischbeschaffung. ©Lucy Martens

DIE SELBSTVERSORGER

Zwar gab Herr B. uns tatsächlich jeden Hirsch frei. Doch Trevor, sein Küchenchef, hatte mehrfach den Wunsch nach einem nicht brunftigen Stück geäußert. Der junge Sternekoch – nach drei phänomenalen Abendessen hatte auch ich es schließlich begriffen – ist einer der mächtigsten Männer an diesem wun- dersamen Ort, der sich Screebe House nennt. Screebe ist kein Hotel, es ist auch keine Pension. Es ist ein Privathaus. Wenn Herr B. nicht dort ist, also über 300 Tage im Jahr, kann es theoretisch jeder mieten. Aber nur komplett. Mit 15 Betten, Küche, Pool und Bar; mit Service, Koch und Chauffeur; mit Berufsjägern, Jagd und Angelboot. In seinen Kellern lagern die besten Weine, in seiner Küche dünstet die würzigste Lachsterrine, an seinem Kamin warten die mildesten Whiskeysorten auf ihren Erlöser. Es gibt nicht viele Orte, wo Selbstversorgung so ernst genommen wird. Hat ein Gast Steinpilze gesammelt, zaubert Trevor daraus sofort einen Gruß aus der Küche. Wer einen strammen Saibling aus den Fluten der Fjorde hieft, kann sich auf eine Pastete der Extraklasse freuen. Liefert einer dem jungen Küchenchef aber frisches Wild, so erwartet ihn der Hauptgewinn. Was auch immer Sie über die angelsächsische Küche bisher glaubten zu wissen: Vergessen Sie’s.

Eissprossenzehner: Der Suppenhirsch hatte den Vorteil, dass ihn zwei Leute bergen konnten. ©Lucy Martens

Eissprossenzehner: Der Suppenhirsch hatte den Vorteil, dass ihn zwei Leute bergen konnten. ©Lucy Martens

DER SUPPENHIRSCH

Als Patrick und ich um die Ecke des gefühlt 13. Tals schauen, bekommen wir zum ersten Mal Rotwild in Anblick. An einer Waldkante weit unten im Tal steht ein junger Hirsch. Etwa 200 Meter links äsen Tier und Kalb. Es ist zehn Uhr morgens und hagelt zärtlich auf meine Kapuze, als der Wildhüter mich fragt, ob ich schießen wolle. Wir könnten auch noch warten, vielleicht käme der Platzhirsch noch. Herbeirufen aber kann er ihn nicht. Denn die einzige Muschel, die ich hier bisher gesehen habe, gab’s zur Vorspeise, und der einzige Brunftschrei weit und breit knört in meiner Magenkuhle. Ich muss an Trevor denken, wie er versonnen eine Salbeibutter anschwitzt. An sein enttäuschtes Gesicht, wenn wir wieder ohne Beute heimkommen und uns auch zum „Horst machen“. Ich nicke stumm. Wir pirschen los. Der Schuss ist einfach, der Hirsch ein kapitaler Fahrradlenker mit Handbremsen.

Am Abend prasselt der Kamin. Ein Gin Tonic klimpert im Glas. Die Gespräche sind wie diese Küste: ehrlich, tief, ungezügelt. Trevor reicht Röstzwiebeln und Käsespätzle, einen Rotweinjus und die Keule meines irischen Rothirschs. Alle sind eingeladen. Jäger, Gäste, Personal, nur Herr B. musste wieder nach Deutschland, Business. Busy ist auch Koch Trevor. Er tranchiert die Keule mit der Hingabe eines Geigenbauers. Sie schmeckt episch. Der letzte Abend geht zur Neige. Wir erfahren
viel über den Mann, der all das geschaffen hat. Der von seinen Leuten geliebt wird. Der beruflich hart sein kann, aber privat verdammt großzügig ist. Für den Land und Leute hier kein Geschäft sind, sondern Herzensangelegenheit: „Unser Ziel ist nicht Profit, sondern Auslastung, Begegnung und Entschleunigung.“ So viel Idealismus war mir dann doch einen Bericht wert. Und soviel kulinarisches Abenteuer eine weite Reise.

So sieht ein Gästehaus aus, in dem Jäger, Angler, Reiter und Genießer unter sich sein können.

So sieht ein Gästehaus aus, in dem Jäger, Angler, Reiter und Genießer unter sich sein können.

RAUES PARADIES – SCREEBE HOUSE

Screebe House liegt in Galway an Westirlands Küste. Dazu zählen 45.000 Hektar Jagdgebiet. Der Enten- und Schnepfenbesatz ist enorm. Das Rotwild hat eine solide Population, die Fischbestände sind überragend. Im Haus finden bis zu 15 Leute Platz. Die Lodge verfügt über Fitness- und Poolanlagen sowie eine in Irland wohl einzigartige Küche.

Spitzengastronomie am westlichsten Zipfel Europas: Lunchtime im Screebe House.

Spitzengastronomie am westlichsten Zipfel Europas: Lunchtime im Screebe House.

Ziel ist es, einzig Lebensmittel aus der Region zu verwenden, wobei die Weine hier die (wohltuende) Ausnahme bilden. Wer sich in Screebe einmietet, „kauft“ die gesamte Anlage für 15.000 Euro pro Woche. Darin ist alles enthalten, lediglich für Kapitalhirsche wird ein Aufpreis fällig.

Informationen finden Sie im Internet unter www.screebe.com.